Werke von Leroy Anderson, Jerry Gray, Maceo Pinkard und anderen

Orchestral Lollipops

Fine Arts Brass, Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt (Oder), Ltg. Howard Griffiths

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Klanglogo KL 1506
erschienen in: das Orchester 02/2015 , Seite 78

Musikalische Dauerlutscher besitzen gleichsam den Nimbus von Unvergänglichkeit wie auch von Allgemeinheit, etwas Unspezifischem, das zu einem „Nebenbei-Hören“ zwingt, um nicht der Leere musikalischen Nichtssagens gewahr zu werden. Was bei vorliegender CD gelungen erscheint, ist die Verbindung solch musikalischer Unverbindlichkeit – „das gefällt jedem“ (und damit auch keinem) – und der Möglichkeit eines genaueren Hineinhörens. Das liegt an der teils witzigen Instrumentation, bei der überraschende Klangfarben wie Xylofon und Bratpfannen schon im Eröffnungsstück von Leroy Andersons Chicken Reel zum Einsatz kommen, wie der brillanten Virtuosität vor allem der Bläser, denen man den Spielwitz deutlich anmerkt. Die CD ließe sich ohne Weiteres für größere Festivitäten zum Einsatz bringen, deren Verlauf sie filmartig spiegeln.
An das Eröffnungsstück schließt der Typewriter vom selben Komponisten an, mit klanglich integrierter Schreibmaschine. Etwas schleppend geraten Bläser und Schlagwerksynkopen beim folgenden Foxtrott Pennsylvania 6-5000 Jerry Grays, der zum Eröffnungstanz einlädt. Umso treibender Sweet Giorgia Brown von Maceo Pinkard in einem Arrangement von Simon Lenton. Die Suite ausgelassener Synkopen wird flankiert von langsamen Stücken, unter denen sich ein bezauberndes Hornsolo in Simon Lentons Bearbeitung von Hoagy Carmichaels Stardust findet. Beschlossen wird diese amerikanische Tanzsuite von Irving Berlins Puttin’ on the Ritz (Bearbeitung: Stephen Roberts), das in seinen virtuosen Bläserkaskaden all seine Coolness verliert und zum hysterischen Ausbruch mutiert.
Danach vollzieht die musikalische Versammlung der Lollipops eine erstaunliche Wendung, denn sie verreist nach Europa und wird plötzlich ganz getragen repräsentativ. Neben den – in letzter Zeit verdächtig oft gehörten – royalistischen Klängen Edward Elgars ertönen weniger bekannte Kompositionen von Henry Wood und dem Dänen Carl Nielsen, der mit dem „Orientalischen Festmarsch“ aus der Aladdin-Suite vertreten ist. Beschlossen wird der Reigen mit sehr gängigen Stücken von Johann Strauß (Sohn), etwa der Tik-Tak-Polka.
Was die CD neben der spielerischen Virtuosität auszeichnet, ist vor allem dieser filmische Fest- und Reisecharakter, der auch einen Weg durch verschiedene musikalische Lollipop-Kulturen beschreibt. Der kurze, aber dennoch sehr informative CD-Begleittext weiß von den zufälligen Gegebenheiten der Tin Pan Alley New Yorks ebenso zu berichten wie vom imperialistischen Geist Englands zur Zeit Edwards des VII. und der Sehnsucht nach volksliedhafter Einfachheit und exotischer Ferne. Diese nicht ganz unproblematische Mischung macht den spezifischen Reiz dieser Sammlung aus, die weniger in ihrem Charakter der Dauerlutscher besticht, sondern den geheimnisvollen Reiz von Kolonialwarenläden mit fremdartigen Gerüchen und skurrilen Gebrauchsgegenständen ausstrahlt; ein musikalisches Potpourri, das nicht nur vitale Leichtigkeit aufruft. Auch die Sehnsucht danach wird thematisiert.
Steffen A. Schmidt