Julius Röntgen
Orchestral, Choral & Chamber Music
Viotta Ensemble/Wyneke Jordans/ Leo van Doeselaar (Klavier)/Netherlands Chamber Choir, Ltg. Uwe Gronostay/ Netherlands Radio Symphony Orchestra, Ltg. Jac van Steen/ Alexander Kerr (Violine), Gregor Horsch (Violoncello), Sepp Grotenhuis (Klavier)
Bei dem Namen Röntgen denkt man wohl zunächst an den Physiker Wilhelm Conrad Röntgen – hier geht es aber um Musik. Der Vater des 1855 geborenen Julius Röntgen spielte als Konzertmeister im Leipziger Gewandhausorchester, die Mutter, eine Pianistin, stammte aus der Familie Klengel, Julius, der berühmte Cellist, und der andere Julius waren Cousins. So viel musikalischer Adel verpflichtet; zu Julius’ Lehrern und Bekannten gehörten Gewandhausdirektor Carl Reinecke sowie die Hofkapellmeister Franz Liszt und Franz Lachner. 1877 begab sich der (freilich nur mäßig erfolgreiche) Pianist nach Amsterdam, wo er zu den Gründern des Konservatoriums und den Initiatoren des Concertgebouw gehörte und auch Johannes Brahms kennenlernte. Der schillernde Lebenslauf des 1932 in Utrecht gestorbenen Julius Röntgen nimmt noch weitere Kurven. Nach dem manifesten kulturellen Umbruch als Folge des Ersten Weltkriegs beauftragte Thomaskantor Karl Straube den gebürtigen Leipziger Röntgen, einige Motetten zu schreiben. Im Rahmen dieser kulturellen Umbruchzeit bleiben die (hier eingespielten Motetten von 1920 und 1929) merkwürdig blass, harmonisch – denkt man an Reger! – uninspiriert, bieten auch jugendmusikbewegten Simplizitäten oder neutönerischen Ambitionen keine Angriffsfläche. Selbst der wohlklingende Niederländische Kammerchor kann aus den altmeisterlichen, von Fugen durchzogenen, am Text sich abarbeitenden Chorsätzen nicht mehr Funken schlagen. Leider fehlen die gesungenen Texte im zwölfseitigen Booklet des Budget-Labels, das auf dieser Doppel-CD in den 1990er Jahren entstandene, bereits von NM Classics veröffentlichte Aufnahmen zusammenpackt. Man ist bei aller Sparsamkeit schon für einen verhältnismäßig ausführlichen Begleittext (nur in englisch) dankbar. Spätestes (bzw. jüngstes) Werk ist die 1930 entstandene, einsätzige cis-Moll-Sinfonie mit finaler Sopran-Vokalise (Roberta Alexander); in diesem schwelgerisch aus der Zeit gefallenen, mit schönen Klangfarben gewürzten Werk begegnet man noch einmal dem 2005 aufgelösten niederländische Rundfunkorchester. Gänzlich nach Brahms klingen die drei Sonaten vom Ende des 19. Jahrhunderts (darunter ein dramatisch aufgewühltes Trio) für Violine, Violoncello und Klavier – es ist ohnehin das Schicksal wenig bekannter Komponisten, dass ihre Werke sich am bekannten, durchgesetzten Repertoire messen lassen müssen. Röntgens Musik, soweit sich das nach dieser Werkschau sagen lässt, ist handwerklich gekonnt, orientiert sich aber eher an Vorbildern, anstatt von sich aus nach Originalität zu streben. Das gilt auch für das virtuos ambitionierte Thema mit Variationen op. 17 für Klavier zu vier Händen und, einleitend, die unterhaltsame Serenade. Bleibt die Diagnose: Musikgeschichte ist noch nie geradeaus verlaufen.
Andreas Bomba