Haffner, Herbert
Orchester der Welt
Der internationale Orchesterführer
Wenn ein Buch gut zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung (1997) in einer dritten, überarbeiteten Auflage erscheint, spricht dies für sich. Offenbar kommt der Autor einem weit verbreiteten Bedürfnis entgegen, wenn er die Geschichte ausgewählter Orchester nacherzählt und nützliche Verzeichnisse im Anhang (Anschriften, Bibliografie, Diskografie) anbietet.
Die Muster ähneln sich: Es ist im Grunde immer die Geschichte von bewundernswürdigem Enthusiasmus und Engagement, von Geldsorgen und von prägenden Dirigenten. Aber Haffner weiß dies so lebendig zu schildern, dass das Buch bei aller Faktenfülle leicht lesbar bleibt, wobei eingestreute Erinnerungen und Anekdoten so manches Menschlich-Allzumenschliche der Orchesterleiter zu Tage fördern.
Den eigentlichen Porträts sind drei bei aller Kürze doch aufschlussreiche Kapitel über die Entwicklung der Klangkörper von der Hofkapelle zum modernen Sinfonieorchester, über den Alltag und die Probleme der Orchestermusiker sowie über Etikettenschwindel bei Tonträgern vorangestellt. Was die spezifische musikalische Charakteristik angeht, macht der Autor zu Recht darauf aufmerksam, dass von einer solchen heutzutage kaum noch die Rede sein kann und viel stärker vom jeweiligen Dirigenten als vom Orchester selbst abhängt. Dass dies in früheren Zeiten, als Konzertmeister zur Not einen ausgefallenen Dirigenten ersetzen konnten, anders war, wird an vielen Stellen der Porträts deutlich. So heißt es über die Tschechische Philharmonie in der Zeit ihrer Leitung durch Václav Talich: Das Orchester erhält den typisch böhmischen, weichen, satten, warmen Klang, mit singenden Streichern und farbigen Bläsern.
Es mutet freilich eigenartig an, wenn eine Neuausgabe im Kern nicht mehr, sondern weniger als die Originaledition bietet. Von den ursprünglich 33 Orchesterporträts der ersten Ausgabe fehlen vier, darunter besonders bedauerlich das des Orchestre de la Suisse romande. Nun sind alle behandelten europäischen und US-amerikanischen Klangkörper fraglos Spitzenorchester. Dennoch erscheinen die weißen Flecken in Europa, Amerika, Asien und Australien doch zu beträchtlich, um dem Anspruch eines Internationalen Orchesterführers gerecht zu werden.
Gerade bei Klangkörpern, für deren Geschichte bereits eigene Monografien vorliegen, hätte die Darstellung wesentlich geraffter ausfallen und der eingesparte Platz für weitere Weltorchester genutzt werden können. Für die nächste Auflage wünscht man sich daher die Wiederaufnahme der ausgeschiedenen Orchester sowie einige neue Darstellungen national etwa die der beiden SWR-Orchester in Baden-Baden/Freiburg und Stuttgart, international zum Beispiel die der Göteborger Sinfoniker, des Orchestre national de France, des Orchestra sinfonica nazionale della RAI oder des NHK Symphony Orchestra Tokyo, um nur einige prominente der fehlenden Ensembles zu nennen. Dabei könnten auch einige Versehen (z.B. Eugène, nicht Eugen Ysaÿe; zur Krönung der Zarin Elisabeth Petrowna 1742 wurde nicht Mozarts, sondern Hasses “La clemenza di Tito” aufgeführt) getilgt werden.
Peter Jost