Hillert, Andreas / Christina Lemnitz / David Molnár

Opernsänger

Überlebenstraining. Was Sänger nicht fragen, aber wissen sollten

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Verlag Neue Musik, Berlin 2016
erschienen in: das Orchester 10/2016 , Seite 56

„Wer sich heute in Träume begibt, die vor Jahrzehnten wohl noch einigermaßen Bodenhaftung hatten, aber heute freischwebend sind und bestenfalls Glücksspielqualität haben, ist … dumm.“ Wenn man Derartiges liest und weiß, dass es dabei um den sagenumwobenen Beruf des Opernsängers geht, möchte man den Autor im ersten Augenblick nur allzu gerne in Diskussionen über die Stichhaltigkeit dieser Unverschämtheit verwickeln oder ihn gleich in den (Bühnen-)Boden stampfen; hat man jedoch zuvor sein verantwortungsbewusst recherchiertes Buch gelesen oder gar selbst zu den „Dummen“ gehört, die diesen Beruf ergriffen haben, weiß man, dass er Recht hat.
In 15 Kapiteln mit Titeln wie „Persönlichkeiten zwischen Bühnen­zauber und seelischen Untiefen“, „Wer ,A‘ singt, muss ,B‘ haben“ oder „Ab morgen bin ich Star! Ganz sicher…“ gibt der Autor sich nicht mit Plattitüden zufrieden. Andreas Hillert ist Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie, ist Supervisor und Lerntherapeut sowie Chefarzt an der Schön Klinik Roseneck, darüber hinaus Dozent an der Katholischen Universität Eichstätt. Zusammen mit seiner Frau Christina Lemnitz, Konzertpianistin und Künstlercoach, und dem Sänger und Musikmanager David Molnár hat er dieses Buch verfasst, in dem es weniger ums Überleben geht als vielmehr um die Warnung, den Wunschberuf Opernsänger gründlich zu überdenken, bevor man sich in die Höhle eines Löwen begibt, der Sänger bereits wieder ausspeit, bevor er sie überhaupt gekostet hat. Hillert warnt Berufseinsteiger bzw. Studenten vor der Illusion, dass dieser Beruf, der noch während des Studiums Glanz und Glorie verspricht (was vielmehr mit dem Überlebenswunsch der Hochschulen und Institutionen zusammenhinge, die Gehälter und Honorare auch morgen noch zahlen können möchten), bei einer Erfolgs- und „Überlebensquote“ von nur zehn Prozent aber keineswegs hält, was einem die selbstverliebte Professorin oder der erotisierte Professor glauben machte. Keinen Hehl macht Hillert nämlich auch aus der Tatsache, dass Sex im engeren und weiteren Sinne sehr wohl eine Rolle spielt bei Intendanten, Regisseuren etc. und die Sympathie eines Publikums für einen Sänger immer nur eine subjektive ist.
Keinesfalls soll der Eindruck entstehen, dass die Autoren hier einen unreflektierten Abriss abliefern. Ganz im Gegenteil regt das Buch oft verstörend, doch realitätsnah dazu an, sich mit den Parametern dieses glorifizierten Wunschberufs auseinanderzusetzen. Als Betroffener mag man sich endlich verstanden und ernst genommen fühlen. Doch auch „Nicht-Insider“ kommen auf ihre Kosten.
All jenen, die den Sängerberuf wählen möchten, um einem langweiligen „Normaloleben“ zu entgehen, sei der Selbsttest im Buch empfohlen, mit Hilfe dessen man vielleicht gerade noch rechtzeitig Plan A zu Plan B umwandelt.
Kathrin Feldmann