Camartin, Iso
Opernliebe
Ein Buch für Enthusiasten
Die Zahl der Opern ohne amouröse Verstrickungen lässt sich eigentlich an den Fingern einer Hand abzählen. Ohne glücklich oder wohl in der Mehrzahl der Fälle unglücklich ausgehende Liebesgeschichte hätte die Gattung kaum seit über 400 Jahren solche Anziehungskraft, denn die Liebe drängt zur Entäußerung in Musik wie kein anderes Gefühl. Das Thema liegt also sprichwörtlich in der Luft. Der Kulturwissenschaftler, Philosoph und Schriftsteller Iso Camartin hat den im Musiktheater in Tönen gesetzten zärtlichen Empfindungen, kurz der Opernliebe, nun ein Buch gewidmet. Fast zehn Jahre lang betreute Camartin die Opernwerkstatt an der Züricher Oper, gestaltete also Einführungsveranstaltungen zu rund 14 Produktionen pro Spielzeit. Seine Kenntnis des Repertoires ist deshalb keine Frage. Die Erfahrungen aus dieser Tätigkeit sind denn auch in das vorliegende Buch eingeflossen, das freilich weder eine wissenschaftliche Abhandlung noch eine trockene Propädeutik sein soll.
Ein Buch für Enthusiasten lautet sinnigerweise der Untertitel. Und das trifft den Kern der Sache. Wobei es auch das Buch eines Opernenthusiasten ist. Iso Camartin lässt an seiner Begeisterung für die Sache vom Vorwort an keinen Zweifel und bekennt sich ganz offen zu seiner Liebe zur Oper, weshalb der Titel ja auch doppeldeutig ist. Er bezieht sich immer wieder auf seine eigenen Erlebnisse aus vielen Jahren Opernbesuchen und schreibt mit ansprechender Empathie über seinen Gegenstand. Das schafft eine große Nähe zum gleichgesinnten Leser.
Die Liebesgeschichten in 50 Opern werden von Iso Camartin in diesem Buch kenntnisreich und fachkundig besprochen. Die aufgegriffenen Bühnenwerke bieten natürlich nur eine Auswahl aus dem schier unerschöpflichen Opernbestand und diese ist selbstverständlich persönlich gefärbt. Gerade bei der Oper des Barocks muss sich der Autor besonders begrenzen. Bei Händel greift er nur Orlando auf. Giulio Cesare mit einer der berühmtesten Liebesgeschichten der Antike hätte sich vielleicht noch mehr angeboten. Dass er aber Wagners Ring ganz ausblendet, ist schon ein wenig speziell, denn allein über die Bedeutung der Liebe in der Tetralogie ließen sich Bände füllen.
Aber, wie gesagt, das Buch ist kein Grundsatzwerk, sondern eine übrigens sehr angenehm und locker zu lesende Betrachtung über zarte Gefühle aller Arten im Musiktheater. Der Reiz besteht denn auch nicht im Gewinn wesentlich neuer Erkenntnisse, sondern in der Anregung zum Nachdenken über bekannte Stücke und Stoffe und zum Weiterspinnen der vom Autor entfalteten Gedanken. Iso Camartins Reflexionen gehen dabei in ganz unterschiedliche Richtungen und belegen ein breites musik- und kulturgeschichtliches Wissen. Auch Bemerkungen zu besonderen Interpreten fließen ein und es gibt ein Literaturverzeichnis sowie CD- und DVD-Tipps. All das macht das Lesen des Buchs in jedem Fall zum Gewinn.
Karl Georg Berg