Achim Hofer (Hg.)
Oper und Militärmusik im „langen“ 19. Jahrhundert
Sujets, Beziehungen, Einflüsse
Kaum zu glauben, dass das Militär einmal Anleihen bei der Oper machen musste. Doch es hat sich tatsächlich Folgendes ereignet: Als im Sommer 1872 der ägyptische Khedive bei einem Staatsbesuch in Konstantinopel musikalisch angemessen begleitet werden sollte, lieh sich die ägyptische Militärkapelle ein paar Aida-Langtrompeten samt Spielern am heimischen Opernhaus in Kairo aus. Ein halbes Jahr zuvor hatte die Uraufführung von Verdis Oper “Aida” dort am Nil stattgefunden, für die sich Verdi die Instrumente eigens hatte anfertigen lassen – in Italien allerdings.
Eine schöne Geschichte in einer umfangreichen Sammlung von Auf- sätzen, die als Beiträge eines Kongresses an der Universität Koblenz-Landau untersuchen, wie Oper und Militärmusik zwischen der Französischen Revolution und dem Ersten Weltkrieg, also in jener Zeit, die man das „lange“ 19. Jahrhundert nennt, eine Liaison oder zumindest eine Wechselwirkung eingegangen sind.
Es war nicht damit getan, dass mancher Opernstoff militärisches Personal hatte, ein Bühnenwerk einen militärisch angehauchten Titel führte (beispielsweise Donizettis “La fille du régiment”), überlieferte Solda- tenlieder zitierte oder eine Militärmusik der Dramaturgie der Handlung folgend auf der Bühne nach dem „Banda sul paco“-Prinzip spielend zu sehen war.
Dafür gibt es zwar ausreichende Beispiele, doch die Militärmusik wur- de auch vor-leitmotivisch sozusagen abstrahiert: als Ausdruck einer sich ankündigenden Bedrohung oder aber eines festlichen Ereignisses. Auch fungierte sie als Persönlichkeitsmerkmal einer Opernfigur, die mit dem Militär verbunden war, oder als Ausdruck des realen Lebens im Gegensatz zu einer Märchen- oder Fantasiewelt.
Die Richtungen, in die sich die Wechselwirkungen entwickelten, sind sehr unterschiedlich. So wurden Opernausschnitte verstärkt in das Repertoire von Militärmusikkapellen aufgenommen, die mehr und mehr in das bürgerliche Leben Einzug hielten. Umgekehrt sorgten die militärischen Kapellen für Verstärkungen der Orchester an manchen Opernhäusern. Die beliebte Bearbeitung von Opernstücken für die kleinere Besetzung bis hin zur Ein-Mann-Version als Klavierauszug taten ihr Übriges dazu. Und manches Stück erreichte später in anderen Zusammenhängen Berühmtheit: Der bis heute aus Funk und Fernsehen bekannte “Narrhalla-Marsch”, der dem Hörer wirkungsvoll signalisiert, dass wieder einmal Karnevalszeit ist, kommt schon in seiner Substanz in der Oper “Le brasseur de Preston” von Adolphe Adam vor, und Offenbach hat in seiner Oper “Geneviève de Brabant” die Hymne der US-Marine musikalisch aus der Taufe gehoben.
Die Betrachtungen der Militärmusik gehen aber auch über die Oper hinaus: So werden Zusammen- hänge zwischen Soldatenliedern und der Entstehung des Männer- gesangvereinswesens beschrieben. Letztendlich behandelt die Aufsatzsammlung ein spannendes Thema: zwei Musikrichtungen, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, in Relation zu setzen und die enormen Auswirkungen zu betrachten, die es für beide hatte.
Sabine Kreter