Lorber, Richard

Oper – aber wie?

Gespräche mit Sängern, Dirigenten, Regisseuren, Komponisten

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter / Metzler, Kassel / Stuttgart 2016
erschienen in: das Orchester 01/2017 , Seite 58

Sie ist wohl die Diva unter den Musikgattungen. Sie ist kapriziös, zuweilen unberechenbar, genauso liebenswert jedoch und berauschend. Sie trägt immer wieder ein neues Gewand, um ihr Alter zu kaschieren oder ihre Zeitlosigkeit zu betonen, sie gibt sich exzentrisch oder gefühlvoll, wirkt manchmal aufwühlend, löst Streitigkeiten aus und dann wieder ausufernden Applaus. Auf jeden Fall aber bleibt sie faszinierend: die Oper. Und sie wird immer wieder kontrovers diskutiert. Über ihre Berechtigung, über ihre Machbarkeit und über das, was sie ist und wie sie ihrem Rezipienten, dem geschätzten Publikum, erscheinen soll, streiten nicht nur die Gelehrten.
Was für ein Glück, möchte man beim Lesen des Buchs von Richard Lorber sagen, dass es die Oper bis heute geschafft hat zu existieren. Auch wenn der Dirigent, Komponist und ehemalige Operndirektor Michael Gielen mit einem Satz aufhorchen lässt: „Ich glaube, dass das Genre Oper beendet ist.“ Doch glücklicherweise beschließt er das Gespräch mit der Frage: „Irre ich mich?“ Denn in welcher anderen Kunstform steckt so viel Lebendigkeit, Ausdruckspotenzial und Genuss, Auseinandersetzungs-, Identifizierungs- und Distanzvermögen und nicht zuletzt Emotionalität?
Lorbers Sammlung von Interviews macht Lust auf Oper. Der WDR-Redakteur, Musikkritiker und Dramaturg hat hier ein Kaleidoskop im Umgang mit dem Thema Oper aus unterschiedlichen Perspektiven aufgefächert. Seine Gespräche sind echte Dialoge mit Opernbesessenen. Jene, die in Details suchen und ein Ganzes erwecken wollen, sei es mit ihrer Singstimme, mit ihren Inszenierungskonzepten, ihrer puren schöpferischen Auseinandersetzung mit einem Stoff oder ihrer Suche nach dem wahren musikalischen Tempo.
Problematiken werden offenbar, aber auch Chancen: ob der Autor der Fragestellung nachgeht, was eigentlich Regietheater ist; die Vokaleinfärbung und ihre Tragweite mit Bariton Christian Gerhaher beleuchtet; ob er Nikolaus Harnoncourt Raum gab darzustellen, was die Auseinandersetzung mit historischer Aufführungspraxis ausmacht; ob er mit Aribert Reimann über den Einsatz eines 41-stimmigen Spiegelkanons spricht oder ob er Hans Neuenfels’ viel diskutierter Rattenkostümierung in seinem Lohengrin auf die Spur kommt. Vermeintliche Missverständnisse werden zurechtgerückt und manche Ahnungen des Opernbesuchers bestätigt oder eben aufgelöst.
So öffnen sich bei der Lektüre nicht nur die Türen zu den Proberäumen und Werkstätten der Theater und Opernhäuser, sondern auch zu manch stillem Künstlerkämmerlein, in dem entweder eine Oper selbst entsteht oder das Brainstorming für den Entwurf zu einer Aufführung tobt. Lorber diskutiert mit seinen Gesprächspartnern erfreulich oft am konkreten Beispiel, hakt nach, wo er Widersprüchlichkeiten vermutet, und das immer mit Respekt gegenüber jeglicher Haltung. Es sind sehr persönliche Unterhaltungen, in denen sein Gegenüber sein Thema auch zu seinem machen kann, jedoch in einer solchen Art und Weise, dass es für das Diskussionsfeld Oper bedeutend wird.
Sabine Kreter