Symphonic Music by Jacques Offenbach

Offenbach Fantastique!

Leipziger Symphonieorchester, Ltg. Nicolas Krüger

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin GEN 20698
erschienen in: das Orchester 10/2020 , Seite 71

Das Jubeljahr ist vorbei, es lebe der Jubilar! So oder ähnlich möchte man angesichts dieser auf den ersten Blick verspätet wirkenden Offenbach-Produktion rufen. Denn wer kann sich – Hand aufs Herz – mit Blick auf den nun absehbar sogar in die Verlängerung gehenden 250. Geburtstag des Bonner Titanen noch an jene nicht allzuweit zurückliegenden Monate erinnern, als des 200. Geburtstags jenes wahnsinnig produktiven, höchst unterhaltsamen, mitunter auch unbequemen Wahl-Parisers Jacques Offenbach gedacht wurde? Die Karawane ist weitergezogen…
Eingespielt oder aufgezeichnet wurde nun nicht die Bühnenproduktion einer Wiederentdeckung. Vielmehr handelt es sich um einen bunten Strauß aus Ouvertüren und Zwischenaktmusiken – also instrumentale Sätze, die mit Fug und Recht auch ein sinfonisches Eigenleben führen können, vergleichbar den noch mehr aus ihrem ursprüng- lichen Zusammenhang gerissenen Arien der zahllosen Recitals kleiner wie großer Stimmen. Erfreulicherweise wurde bei der Zusammengestellung weitestgehend auf Selbstläufer eines potenziellen Promenadenkonzerts verzichtet, die Ouvertüre zu “Orphée aux enfers” durfte freilich nicht fehlen.
Hingegen sind einige richtige Raritäten zu hören, wie etwa ein Entr’acte aus “Barkouf” (1860), jenem abenteuerlichen Dreiakter, der erst nach 158 Jahren wieder inszeniert wurde (Straßburg/Köln), oder Introduction, Ballet und Entr’acte aus “Le roi Carotte” (1872). Jede Nummer überrascht mit einer musikalischen Originalität, die man zwar bei Offenbach grundsätzlich erwarten darf (andere Komponisten hofften vermutlich Jahre auf nur “eine” solche Eingebung), die einen dann aber immer wieder und von Neuem verblüfft – etwa die subtilen Wagner-Anspielungen in Motiv oder Instrumentation im Entr’acte zu “Robinson Crusoé” (1867) oder “König Karotte” (auf “Lohengrin” und “Holländer”).
Gut beraten war das Leipziger Symphonieorchester jedenfalls, diese CD unter das Motto „Offenbach Fantastique!“ zu stellen. Denn tatsächlich steht die unerschöpfliche Kreativität des Komponisten im Vordergrund dieser rundum ordentlich produzierten Einspielung. Das vom Freistaat Sachsen, zwei Landkreisen wie auch anderen Institutionen und Verbänden finanzierte Orchester mit Sitz in Böhlen hat sich damit zu seiner etatmäßigen Größe und der Heimspielstätte im Kulturhaus bekannt.
Interpretatorisch wurde indes kein Neuland betreten, manches scheint zudem (zu) sehr auf Sicherheit gespielt worden zu sein. Angesichts der nur wenige Kilometer weiter nördlich residierenden Gewandhaus-Kollegen hat man bei der Wahl des Repertoires allerdings eine gut umsetzbare Lücke gefunden. Nach dem unerwarteten Abgang von Chefdirigent Nicolas Krüger noch während seiner ersten Saison, in der auch diese Aufnahme entstand, hat der Klangkörper nun ein ruhigeres Fahrwasser verdient, um sich weiterzuentwickeln. Mit seinen Aufgaben und dem breiten Programm ist er jedenfalls aus der Region nicht wegzudenken.

Michael Kube