Hans Werner Henze

Ode. Werke für Cello und Orchester

Isang Enders (Cello), WDR Sinfonieorchester, Ltg. Lin Liao und Jonathan Stockhammer

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Berlin Classics
erschienen in: das Orchester 04/2023 , Seite 70

Einer der bedeutendsten und erfolgreichsten deutschen Komponisten des vergangenen Jahrhunderts war Hans Werner Henze (1926–2012). Nun erschien eine CD mit seinen Werken für Violoncello und Orchester. Sie beginnt mit der als Musik für Cello und Orchester bezeichneten Ode an den Westwind nach dem gleichnamigen und im Beiheft sowohl im englischen Original als auch in deutscher Übersetzung abgedruckten Gedicht(zyklus) von Percy Bysshe Shelley. Das ist gleich ein Schlüsselwerk, denn es markierte 1953 zum einen Henzes Übersiedlung nach Italien und zum anderen die daraus entstehende persönliche Synthese seiner Musik aus der Strenge der Zwölftontechnik und des Serialismus sowie einer zunehmenden und unmittelbar ansprechenden Klangsinnlichkeit nach italienischer Art.
Die zweite Komposition heißt Englische Liebeslieder für Cello und Orchester (1984/85), inspiriert durch entsprechende (aber in diesem Fall ungenannte) Gedichte, in Henzes Worten „vom introvertierten Schwärmen über den gefühlsgeleiteten Tango bis zum reflektierenden Sonett“. Der Mittelsatz des dritten hier vertretenen Werks namens Introduktion, Thema und Variationen für Cello, Harfe und Streichorchester war ursprünglich der fünfte Satz der Liebeslieder, den Henze 1985 strich und 1992 um eine Einleitung und Variationen ergänzte. Ebenso lyrisch wirkt die abschließende Trauer-Ode für Margaret Geddes, die Henze 1997 als „Nachruf auf eine verehrte und geliebte Freundin, die Prinzessin Margaret von Hessen und bei Rhein“ für Cellosextett komponierte. In der Mitte dieser schmerzlichen Ode erhebt sich Johann Sebastian Bachs tröstlicher Choral Meine Seele erhebt den Herrn, der von elegischen Gegenstimmen umspielt wird.
Der Solist Isang Enders und das WDR Sinfonieorchester setzen diese klangfarbenreichen und technisch fast unspielbaren Partituren gut um. Henzes Englische Liebeslieder wurden seinerzeit von Heinrich Schiff und diesem Orchester aus der Taufe gehoben, was es jetzt erlaubte, das Uraufführungsmaterial zu verwenden. Die Dirigentin Lin Liao musste nach der Ode an den Westwind wegen Corona durch Jonathan Stockhammer ersetzt werden. In der Trauer-Ode für Margaret Geddes gesellt sich der Solist zu fünf Mitgliedern des Kölner Klangkörpers – sicherlich auch als „Ausgleich“ dazu, dass im Orchester der Ode an den Westwind kein einziges Cello besetzt ist. Isang Enders möchte mit dieser Produktion Henzes Musik wieder mehr in das heutige Repertoire integrieren, auch im Hinblick auf die Person des Komponisten, insbesondere seine pazifistische Grundhaltung. Schade nur, dass das Dirigat von Lin Liao etwas zu distanziert wirkt und dasjenige von Jonathan Stockhammer zu wenig differenziert.

Ingo Hoddick