Werke von Bernd Richard Deutsch, Maurice Ravel, Jean Sibelius und Ēriks Ešenvalds
Oceanic
Iveta Apkalna (Orgel), Kristin Hammerseth (Flöte), Stavanger Symphony Orchestra. Ltg. Andris Poga
Wenn eine CD mit Oceanic betitelt ist, steigen vor dem inneren Auge Bilder von Wellen und Dünung auf, von majestätischer Ruhe des Meeres wie von tobenden Stürmen. All das wird dem Hörer hier in akustischer Umsetzung geboten, auch wenn das Standardwerk der Widerspiegelung ozeanischer Eindrücke fehlt, Debussys La Mer. Doch ist Maurice Ravel mit seiner Barque sur l’ocean vertreten und Jean Sibelius mit seinen Okeaniden. Mit viel Gespür für deren Meeres-Assoziationen erwecken Andris Poga als Dirigent und das Stavanger Symphony Orchestra diese beiden Partituren zu klanglichem Leben, wohl auch unterstützt durch die eigene Anschauung der Nordsee an der norwegischen Südwestküste.
Im Zentrum der Einspielung stehen freilich Novitäten: zwei Konzerte für Orgel und Orchester, bei denen die lettische Organistin Iveta Apkalna den Orgelpart übernimmt. Den Blick wie weit in die Ferne gerichtet erblickt man sie auf dem CD-Cover, während ein Rinnsal ihr Gesicht zu überlaufen scheint. „Alle Werke erzählen vom Wasser, seiner Kraft, dem Leben, das aus ihm entspringt“, so schreibt Iveta Apkalna in ihrem Vorwort zu den Einspielungen.
Okeana Balss, zu deutsch „Stimme des Ozeans“, überschrieb der lettische Komponist Ēriks Ešenvalds sein Iveta Apkalna gewidmetes Orgelkonzert, das 2014 in der Kathedrale der damaligen europäischen Kulturhauptstadt Riga uraufgeführt wurde. Inspiriert von der Gesangs- und Chortradition in den baltischen Staaten zeigt sich seine Komposition vor allem sanglich gehalten, wobei Orgel und Orchester sich weniger konzertierend gegenübertreten, als dass sie eine Symbiose bilden. Eine zweite Hauptrolle spielt hier die Flöte (Solistin: Kristin Hammerseth), die im langsamen Mittelsatz weite melodische Bögen spannt und auch im sanften Schluss des Maestoso-Finales wieder hervortritt. Einkomponiert in das Werk ist eine Reverenz an Altmeister Bach: Die anfangs vielfach erklingende Mordent-Figur verweist deutlich auf dessen d-Moll-Toccata.
Als „das beste zeitgenössische Orgelkonzert überhaupt“ bezeichnet Iveta Apkalna jedoch die 2015 uraufgeführte Komposition Okeanos des österreichischen Zeitgenossen Bernd Richard Deutsch. Über die Inspiration durch das Wogen des Meeres weitet sich bei ihm der Blick auch auf die übrigen der vier antiken Elemente: mit „Wasser“, „Luft“, „Erde“ und „Feuer“ sind die vier Sätze des Konzerts betitelt. Man kann in deren Verlauf einzelne tonmalerische oder -symbolische Aspekte entdecken: schwebende Tongirlanden stehen für die „Luft“, ein Flackern durch permanente Taktwechsel für das „Feuer“. Aber das sind punktuelle Eindrücke in einer wiederum Orgel- und Orchesterpart verschmelzenden Komposition, deren Anliegen es insgesamt ist, die allumfassende Natur in ihrer Zuständlichkeit ebenso wie in ihrer Unberechenbarkeit abzubilden: im Wechsel zwischen Gleichmaß und eruptiven Ausbrüchen mit reichlichem Schlagzeuganteil.
Gerhard Dietel