Davies, Peter Maxwell
Oboe Quartet
Partitur und Stimmen
Der 80-jährige noch äußerst produktive englische Komponist Peter Maxwell Davies lebt heute auf der Orkney-Insel Hoy. In seinem über 300 Kompositionen umfassenden Werkkatalog finden sich insbesondere großformatige und stilistisch vielseitige Orchester- und Chorwerke. In den jüngsten Jahren wandte sich der Brite, der am Royal Manchester College of Music sowie bei Goffredo Petrassi und Milton Babbitt studiert hat, intensiver der Kammermusik zu. Seine Zusammenarbeit mit Harry Birtwistle führte ihn im Ensemble Fires of London verstärkt zur Musik der Avantgarde.
Sein einsätziges Oboen-Quartett entstand im Sommer 2012 in Italien als Auftragswerk für das St. Magnus International Festival 2013 und das Hebrides Ensemble zum 60. Geburtstag des Komponisten und Dirigenten Oliver Knussen.
Wie in vielen anderen Werken greift Maxwell Davies als kompositorisches Material auf Gegebenes zurück. Es ist das gregorianische Alleluja vom Karsamstag der Osterwoche, das die Viola in Begleitung des Violoncellos eröffnend intoniert. Maxwell Davies schält aus der ametrischen Melodie ein rhythmisches Motiv heraus, das in nahezu jedem Takt der Introduktion erklingt und dem zarten Stimmengeflecht bis zum Einsatz der Oboe etwas Halt verleiht. Melodisch wird das Geschehen von der häufig wiederkehrenden bzw. transponierten Tonfolge ges-as-b mit anschließender Erweiterung um h-gis geprägt, die auch den sich nach 20 Takten in höchster Lage einschleichenden Oboeneinsatz begleitet. In den folgenden Abschnitten wird das Tempo vorangetrieben, eine durchgehende Sechzehntelbewegung führt zusammen mit einem Tritonus-Motiv im Scotch-Snap-Rhythmus (kurze betonte Note, gefolgt von einer langen), das vom Violoncello mit aggressivem Ausdruck zu spielen ist und dessen Partie über weite Strecken dominiert, zu einer Verdichtung und die Musik wendet sich zum Dramatischen hin. Nach der ersten Steigerungsphase folgt eine plötzliche Rückwendung des Streichtrios zum Anfang. Mit dem folgenden Einsatz der Oboe tritt erstmals die Virtuosität in den Vordergrund, während mit intensivem Akkordspiel und brutalen Akzenttönen der Streicher das polyfone Stimmgeflecht kurzfristig aufgegeben wird, ehe sich die Streicher unter Begleitung einer langen Oboen-Trillerkette diesem wieder zuwenden. In weiteren Teilen gelingt es Maxwell Davies, das Material unter neuen Perspektiven und in vielfältiger Kombination auszubreiten, so in einer von flirrenden Akkordrepetitionen begleiteten come una fantasma-Violoncello-Melodie. Mehr überraschend als zwingend kommt das Quartett mit einem choralartigen tremolierenden Akkordsatz und quasi entschwebender Oboe zum Schluss.
Maxwell Davies sowohl lyrisch reflektierendes als auch dramatisch forsches freitonales Oboenquartett kommt ohne klangliche Verfremdung aus. Der überwiegend kantable Oboenpart erfordert ebenso wie das Streichtrio wegen der permanenten Taktwechsel und der rhythmisch diffizilen Gestaltung gut aufeinander eingespielte, versierte Interpreten. Das Notenmaterial ist sehr gut lesbar und die Stimmen sind sehr groß-
zügig mit perfekten Wendestellen angelegt.
Heribert Haase


