Werke von Paul Schoenfield, Astor Piazzolla, Joaquín Turina und anderen

Oblivion

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Thorofon CTH 2610
erschienen in: das Orchester 04/2014 , Seite 79

Nach einer der berühmtesten Tangokompositionen von Astor Piazzolla ist diese CD betitelt: Oblivion. Was das Stück umschreibt – das Vergessen –, blieb ihr selbst allerdings erspart. Neben Libertango wird kaum ein Werk von Piazzolla so häufig aufgeführt wie dieses. Oblivion in der Lesart des Tangomeisters ist fast ein tröstlicher Vorgang, so verlockend wirkt das melancholische Zwiegespräch zwischen Violine und Cello. Hier tritt der Tango Nuevo in die Fußstapfen romantischer Nocturnes, und das Gelius-Trio, bestehend aus Micaela Gelius (Klavier), Sreten Krstic (Violine) und Michael Hell (Violoncello), macht das mit seelenvollem Spiel deutlich.
Oblivion bildet aber nur ein Element eines Piazzolla-Porträts, zu dem noch La muerte del Angel, der legendäre Libertango und Die vier Jahreszeiten in Buenos Aires gehören. Das Trio präsentiert Letztere im Arrangement von José Bragato und nimmt die Musik insgesamt leichter und „klassischer“ als etwa Gidon Kremer in seinen packenden Interpretationen. Klassischer bedeutet allerdings nicht spannungslos. Immer von Neuem tauchen die drei Musiker in die Gefühlswelten von Piazzolla ab, erkunden den Wechsel zwischen vorwärts treibenden, rhythmisch dominierten und melodischen, ruhigen Partien, ein Grundmuster des Tangos, welches das Auf und Ab des Lebens wie in einem Brennspiegel einfangen will. Das Gelius-Trio erfasst den Nuancenreichtum der Musik, ihren mitreißenden Schwung, ihre Melancholie, ihre Kraft und ihre Zartheit.
Vor fünfzehn Jahren fanden sich Sreten Krstic und Michael Hell, beide Konzertmeister bei den Münchner Philharmonikern, und Micaela Gelius, Lehrbeauftragte an der Universität Augsburg, zusammen und haben in dieser Zeit zu bemerkenswert einheitlichem Spiel gefunden. Ihr Augenmerk richtet sich auch auf Unbekanntes wie etwa das Schaffen der Komponistin Dorothee Eberhardt. Auch auf der aktuellen CD sind mit Paul Schoenfield und Joaquín Turina Künstler vertreten, deren Produktionen nur wenigen geläufig sein dürften.
Ins Umfeld von Piazzolla (zu dem sich mit Isaac Albeniz’ Tango ein weiterer Repertoireklassiker gesellt) fügen sie sich ausgezeichnet ein. Der 1947 geborene Amerikaner Paul Schoenfield verbindet in seiner Café Music Stilelemente der Klassik und des Jazz und Tanzmusik auf ähnliche Weise, wie Piazzolla barocke Figuren mit der Sprache des Tango verschmolzen hat. Im ersten Satz etwa wechselt er kurzerhand vom Ragtime- in den Klassikmodus – mittels einer imitatorisch versetzten Überleitungspassage, die aus einem Klavierkonzert der Beethoven-Zeit stammen könnte. Dank solcher Spielereien – anderswo blitzt mit einer Drehfigur aus Quarten ein Funken Moderne auf – wird aus dem Hören der Café Music eine vergnügliche Angelegenheit. Der zweite Satz bietet Violine und Cello weiten Raum, um schwärmerische Melodien zu spannen. Schoenfield legt dieser Elegie ein chassidisches Lied zugrunde. Mit dem dreiteiligen Zyklus Circulo von Turina meldet sich schließlich eine von Debussy und Ravel wie von spanischer Folklore geprägte, farbenreiche und raffinierte Musik zu Wort.
Mathias Nofze