Verdi, Giuseppe

Oberto

2 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics OC959
erschienen in: das Orchester 03/2014 , Seite 78

Michael Hofstetter ist hierzulande längst kein Unbekannter mehr, hat er sich doch vor allem als Spezialist für historische Aufführungspraxis einen Namen gemacht, so zuletzt mit der viel beachteten CD Hasse reloaded – der Solist, Valer Barner-Sabadus, ist der neue Shootingstar unter den Countertenören –, die es 2012 auf die Bestenliste der deutschen Schallplattenkritik geschafft hat. Und so verwundert es nicht, dass Hofstetter mit dem Chor und philharmonischen Orchester des Stadttheaters Gießen ei-
ne präzise, intonationsmäßig saubere, frisch und schnörkellos musizierte konzertante Interpretation von Verdis Opernerstling Oberto erarbeitet hat, die als Livemitschnitt nun auf CD vorliegt.
Die äußere Aufmachung der Produktion erweist sich als eher bescheiden, das dünne Booklet enthält an deutsch-englischen Texten neben einem lesenswerten Kommentar von Christian Schröder zur Oper selbst lediglich eine knappe Inhaltsangabe, aber nicht das Libretto, was bei einer doch eher unbekannten Oper hilfreich wäre, sowie eine sehr ausführliche Vita von Hofstetter. Über die mir namentlich nicht geläufigen Gesangssolisten erfährt man hingegen nichts.
Bariton Adrian Gans, der die männliche Hauptrolle singt, stammt aus den USA und gehört seit einigen Jahren zum Ensemble des Stadttheaters. Dadurch ist die Besetzung der Titelrolle mit ihm möglicherweise eine Konzession an diese Produktion, weil er stimmlich mit den anderen Gastsolisten nicht ganz mithalten kann, zu schwerfällig die melodische und rhythmische Artikulation, die Höhe hingegen beeindruckt. Die Partie der Leonora wird von Francesca Lombardi Mazzulli übernommen; sie studierte in Mailand und hat sich hauptsächlich mit Opernpartien des 17. und 18. Jahrhunderts beschäftigt. Ihre Stimme ist sehr klar, von leichtem Timbre, im Forte in der Höhe allerdings mitunter etwas scharf. Die zweite weibliche Hauptrolle der Cuniza singt Manuela Custer, ein Mezzosopran aus Novara. Ihre Stimme zeichnet ein leicht dunkel gefärbtes dramatisches Timbre aus, die Koloraturen sind von geschmeidiger Leichtigkeit, sie meistert den großen Umfang der Partie in allen Registern mühelos. Die Tenorpartie des Riccardo singt Norman Reinhardt, aus Houston/Texas, länger in Leipzig am Opernhaus tätig, und jetzt in Basel. Auch seine stimmliche Disposition überzeugt vor allem in den dramatischen Passagen.
Gemessen an Opernchören anderer Häuser besticht der Gießener Chor durch Klarheit und stimmliche Geschlossenheit. Im Orchester fehlt bei den Streichern ein wenig die Dichte, wohl der kleineren chorischen Besetzung geschuldet, insbesondere die Blechbläser beeindrucken.
Verdis Musik erweist sich vor allem für einen Opernerstling als auf der Höhe seiner Zeit. Von Anfang an beherrscht er das Genre professionell, auch wenn natürlich die musikalische Individualität und psychologische Gestaltung der späteren Meisterwerke noch nicht vorhanden ist.
Fazit: eine sehr gelungene Gemeinschaftsarbeit unter herausragender Leitung mit einem hörenswerten unbekannteren Werk des Jubiläumskomponisten. Italienische Oper geht auch ohne die ganz großen Gesangsstars und nicht nur an großen Häusern.
Kay Westermann