Weihnachtslieder aus Deutschland und aller Welt, Vol. 2

O sanctissima — O du fröhliche

Weihnachtslieder aus Deutschland und aller Welt, Vol. 2, MDR Rundfunkchor Leipzig, Ltg. Philipp Ahmann

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin
erschienen in: das Orchester 02/2018 , Seite 71

Warum wird zum Weihnachtsfest (im Vergleich etwa zu Ostern oder Pfingsten, den anderen christlichen Hochfesten) so viel und so gerne gesungen? Die einen erklären es mit der positiven, fröhlichen Botschaft, andere mit der dunklen und kalten Jahreszeit, deren Ängste zu vertreiben stimmungsvoller Gesang am besten in der Lage ist.
In der Tat pflegen viele Advents- und Weihnachtslieder einen eher melancholisch verhangenen Grundton, hier sogar das eigentlich von der Sonne verwöhnte sizilianische O sanctissima (im süffigen Satz von Bobbi Fischer), das dieser CD den Namen gibt. Dazu Lieder aus dem finstren Skandinavien, dem nebligen England und natürlich dem Lebkuchen und Tannenbaum evozierenden deutschen Liederschatz, vertreten etwa durch Bach, Reger und den Leipziger Thomaskantor Sethus Calvisius. Es handelt sich bei dieser 27-teiligen Sammlung allerdings nicht nur um Lieder in mehr oder weniger schlichten Arrangements, sondern auch um Motetten (Schütz und Palestrina), Liturgisches (Strawinsky) und komponierte Stücke wie Brittens schöne Hymn to the Virgin oder Tschaikowskys Legenda.
Vorzüglich und makellos singt der MDR Rundfunkchor Leipzig unter Leitung seines Gastdirigenten Philipp Ahmann. Der drohenden Unterforderung entgeht er mit ausgesucht schönem Klang, sorgfältiger Intonation und guter Aussprache; wann hört man in Händels Tochter Zion schon einmal die F-, T- und Ch-Laute so natürlich, ohne dass sie den Klangfluss unterbrechen? Dennoch: Die Schlichtheit mancher Musik stellt diesen großen Chor bisweilen vor die schwierige Aufgabe, sich dynamisch zu reduzieren oder die Besetzung zu verkleinern, wie in einem die Männer solistisch und chorisch fordernden Lied aus Korea. Dieses einfach schön gesungene Stück berührt besonders.
Überhaupt verdient der Blick über den europäischen Tellerrand hinaus besonderes Interesse. Denn auch der Leipziger Chor ist inzwischen ein von internationalen Mitgliedern und Erfahrungen geprägtes Ensemble. Schön, dass einige Sängerinnen und Sänger sich an Weihnachtslieder und -bräuche aus ihrer Heimat erinnern oder gar komponierend und arrangierend tätig werden.
Der Tenor Kent Carlson liefert, auf einen eigenen Text, ein vergleichsweise komplexes Stück und hat außerdem ein japanisches Lied in einfache Harmonien gegossen. Richtig schwungvoll wird es, wen wundert’s, bei einem Lied aus Venezuela und dem Marsch der Könige (Lully, man kennt es als Orgelstück) aus Frankreich. Satte Close-harmony-Klänge bietet The Christ-child von den Bermudas, Altertümliches pflegt Alsor ton e aus Armenien in einem Satz des Volksliedsammlers Komitas. Die frappierende Nähe von jüdisch-kantoralen, gregorianischen, orthodoxen und islamischen Wendungen lässt hier überlegen, ob alle gesungene Musik nicht doch einen gemeinsamen, interkulturellen Ursprung hat.
Das zweisprachige Booklet enthält die gesungenen Texte, einen Aufsatz über Weihnachten und Musik und knappe, persönliche Statements einiger Chormitglieder über die Lieder ihrer Heimat.
Andreas Bomba