Werke von Alfred Desenclos, Gabriel Fauré, César Franck und Maurice Ravel

Nuits Blanches

Michael Rieber (Kontrabass), Norbert Goerlich (Klavier)

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Es-Dur
erschienen in: das Orchester 5/2024 , Seite 75

Ins Segelboot und dann hinaus aufs Meer: So sieht für Michael Rieber Entspannung aus. Zum Hafen hat er’s nicht weit: Rieber lebt in Hamburg und ist Solo-Kontrabassist im NDR-Elbphilharmonie-Orchester. Neben seiner Orchestertätigkeit tourt Rieber als Solist wie auch als Kammermusiker durch die Konzertsäle. Vier CDs hat er bisher eingespielt, nun ist die fünfte auf dem Markt.
Auf dem Cover prangt ein Foto, das Rieber selbst aufgenommen hat. Als „Soundtrack“ dazu sei der dritte Track des Albums empfohlen: Gabriel Faurés Elegie op. 24, ursprünglich für Cello und Klavier, hier in Riebers Bearbeitung für Kontrabass. Nichts von der Melancholie, der Zartheit und Eleganz geht dabei verloren, und das liegt an Riebers fabelhaft geschmeidigem Spiel, dem feinen, aber wenn nötig auch dringlichen Ton. Im höheren Register kann man einen derart schlank geführten Kontrabass manchmal mit einem Cello verwechseln, in tieferen Lagen dagegen kommt die typisch „erdige“ Sonorität zur Geltung.
Der Titel dieser CD, die ausschließlich Musik von französischen Komponisten versammelt, lautet Nuits blanches, was soviel wie „schlaflose Nächte“ bedeutet. Es gibt vieles, was man in schlaflosen Nächten tun kann: auf dem Deck eines Segelbootes stehen und übers weite Meer schauen – oder diese CD auflegen und seine Fantasie schweifen lassen. Und dabei einen weitgehend unbekannten Komponisten entdecken: Alfred Desenclos (1912–1971). Seine Aria und Rondo für Klavier und Kontrabass sind die einzigen Originalwerke auf der CD. Die Aria ist Ausdruck schwelgerischer Spätromantik, das Rondo eine quirlige Musik, die einen lebhaften Flirt mit dem Jazz eingeht. Die übrigen Komponisten sind alte Bekannte, dank Riebers eigenhändiger Bearbeitungen aber in neuem klanglichen „Look“ zu erleben. Gabriel Fauré ist noch mit Après une rêve vertreten, César Franck mit der berühmten A-Dur-Sonate, die eigentlich für Violine gedacht war. Franck selbst soll einer Version für Cello seinen Segen gegeben haben. Rieber erweist sich hier als großartiger Solist, der seinem Instrument eine eindrucksvolle Sprach- und Ausdrucksfähigkeit abgewinnt. Mit seinem fabelhaften Klavierpartner Norbert Goerlich bildet er ein wunderbar aufeinander eingespieltes Duo. Maurice Ravels Pièce en forme de Habanera und Pavane pour une infante defunte, Letztere ein weiteres Beispiel für Riebers grandios gesangliches Spiel, runden die CD ab.
Originell zudem: Das Booklet bringt seine Infomationen nicht als Essay, sondern als Interview an Leser und Leserin. Rieber und Goerlich unterhalten sich mit Denis Rouger, der an der Musikhochschule Stuttgart eine Professur für Chorleitung inne hat und als Mitkurator der CD mit im Boot war. Thema unter anderem: Raffinesse und Farbe als typische Merkmale französischer Musik.
Mathias Nofze