Werke von Omar Massa und Astor Piazzolla
Nuevo Tango Concertos
Omar Massa (Bandoneon), Berliner Symphoniker, Ltg. Mark Laycock
In Omar Massas Concerto for Bandoneon and Chamber Orchestra Buenos Aires-Berlin verbreitet schon der erste Satz „Prologue & Tango“ eine bewegende expressive Grundstimmung, die gleich zu Beginn in eine eigene Klangwelt führt. Die für den Tango charakteristische melancholische Melodieführung des Bandoneons, oft mit unverhofft auftretenden explosionshaft-scharfen Akzentuierungen, wechselt sich in natürlicher Weise ohne jede Effekthascherei ab mit impressionistischen Farbgebungen des Orchesters unter rhythmischer Begleitung des Klaviers. Zudem bleiben selbst in ruhigeren Passagen rhythmische Grundelemente des Tangos weiter spürbar, ja auch dann, wenn flimmernde Klangtrauben der Streicher, untermalt von tiefsten ostinaten Basstönen, für eine fremdartige und doch auch vertraute Stimmung sorgen.
Wohl auch aufgrund dieser Ambivalenz gelingt es Massa scheinbar mühelos und natürlich wirkend, wesentliche Stilmittel des Tango Nuevo in seine eigene authentische Klangsprache zu integrieren und weiterzuentwickeln, was vor allem in dem Stück Buenos Aires Resonances deutlich wird. Hier werden keine Klischees bedient, vielmehr werden Geschichten und Sehnsüchte nach Familie, Freunden und seiner Heimatstadt Buenos Aires erzählt – mit viel Einfühlungsvermögen, vor allem auch durch das begleitende Orchester und seinen feinsinnigen Dirigenten Mark Laycock, die sich hier auf eine musikalische Entdeckungsreise eingelassen haben und mit dem Bandoneon zu einem äußerst vielseitigen Einklang verschmelzen.
Im nächsten Stück Negro Liso führt das Bandoneon in einem Solo mit einer kadenzartigen Einleitung zum folgenden Tango Legacy über, der mit Hilfe piazzolla-typischer musikalischer Elemente unüberhörbar an die Ausdruckskraft des Tango Nuevo anknüpft, gleichzeitig aber auch neue klangliche Stilelemente miteinbezieht, verbunden mit einem stets klaren, stupend virtuosen und natürlich wirkenden Bandoneonspiel, das in keinem Moment den Eindruck erweckt, es diene dem Selbstzweck.
Im auf naturalistische Vorlagen beruhenden Bandoneon-Concerto Aconcagua (1979) von Piazzolla zeigt Massa dann, warum er in Fachkreisen als Piazzollas Nachfolger angesehen wird – nicht nur als Komponist, sondern auch als Bandoneonist. Interessant ist nun, dass ebenfalls 2021 eine bemerkenswerte Aufnahme desselben Konzerts mit dem Akkordeonisten Nikola Djoric erschien, wodurch sich ein Vergleich der beiden Instrumententypen und Interpretationen geradezu anbietet.
Es bleibt zu erwähnen, dass Massa mit seinem von Piazzolla stammenden Bandoneon ohne Registrierungsmöglichkeiten auskommt und ihm dennoch eine Klangsinnlichkeit gelingt, die entscheidend dazu beiträgt, die spieltechnisch-musikalischen Perspektiven des Instruments neu zu definieren. Schließlich ist auch die hervorragende Balance zwischen Bandoneon und Orchester unbedingt hervorzuheben.
Romald Fischer