Uwe Mitsching

Nürnberg: Prägende Jahre

Festwoche: Vor hundert Jahren wurde die Staatsphilharmonie Nürnberg städtisch

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 01/2023 , Seite 56

Was man jetzt mit einer Festwoche „100 Jahre Staatsphilharmonie Nürnberg von 1922-2022“ feierte, sind die hundert Jahre, seit die beiden Nürnberger Orchester, Theaterorchester und Philharmoniker, zusammengeführt und städtisch wurden. Die 61 Musiker wurden Angestellte der Stadt, bekamen Jahresverträge, vier Wochen Urlaub mit Lohnfortzahlung (auch bei Krankheit) und ein Gehalt entsprechend der Beamtenbesoldung. Bis im November 1944 mit einer Vorstellung der Götterdämmerung in der Regie von Wieland Wagner der Vorhang über Nürnbergs philharmonischem Opern- und Orchesterleben fiel.
Weniger als ein Jahr später: das erste Nachkriegskonzert unter dem Dirigenten Ralf Agop. Es folgten für den Wiederaufbau des musikalischen Lebens Generalmusikdirektoren mit langen, prägenden Dienstzeiten (Erich Riede, Hans Gierster). Zwanzigjährige Dienstzeiten an der Spitze des Philharmonischen Orchesters wurden angesichts der Karrierewünsche eines Christian Thielemann oder jetzt einer Joana Mallwitz schnell unzeitgemäß, bescherten dem Nürnberger Publikum aber Maßstäbe setzende Aufführungen von kompetenter Hand. Joana Mallwitz schreibt sich mit wenigen, aber erstaunlich prägenden Jahren in die Annalen der Nürnberger Staatsphilharmonie ein, mit umjubelten Operndirigaten, mit dem von ihr schon in Erfurt erfundenen Format „Expeditionskonzerte“ und einem beneidenswerten Kommunikationstalent. Besonders aber mit ihrer Idee einer „Jungen Staatsphilharmonie“. Die eröffnete denn auch die 100-Jahre-Festwoche – womit sonst als der Meistersinger-Ouvertüre? Mittlerweile umfasst die „Junge Staatsphilharmonie“ rund 70 Mitglieder, wird nötigenfalls von Mitgliedern der etablierten Philharmonie unterstützt.
Zu Zeiten des Mallwitz-Vorgängers Marcus Bosch war man dem Rückgang der Publikumszahlen bei den Philharmonischen Konzerten in der Meistersingerhalle mit ihren gut 2000 Plätzen durch eine geschickt geänderte Bestuhlung begegnet. Unter Mallwitz ging die Diskussion eher darum, ob der große, denkmalgeschützte Saal aus den sechziger Jahren überhaupt geeignet sei. Eine neue Konzerthalle war schnell neben die alte projektiert, wurde wieder gestrichen, jetzt steht die Staatsphilharmonie vor der Frage, ob und wo sie bei stark renovierungsbedürftigem Opernhaus demnächst überhaupt wird spielen können. Tatsächlich etwa in einem Übergangs-Opernhaus im Hof der Nazi-Kongresshalle?
Aber zunächst wurde so pompös wie nur eben denkbar gefeiert: mit viel Richard Strauss, schließlich mit dem Schlussgesang der Salome und der fulminanten Marlis Petersen. Dazu war die Uraufführung von Lera Auerbachs 5. Symphonie ein dem Strauss-Umfeld adäquates Orchestererlebnis: eine halbe Stunde über den Zustand der Welt von Anfang an und bis heute, über Pessimismus ohne Ausweg, in dunklen Farben von mächtiger Percussion und Ergebnis von Auerbachs vielfältiger Erfahrung mit Oper, Ballett, Kammermusik – fast immer mit politisch-weltanschaulichem Hintergrund. Auerbachs Musik lässt auch in ihrer Fünften keinen Zweifel an ihrer Betroffenheit von allen Problemen dieser Welt: Arctica hatte 2019 schon ihre 4. Symphonie geheißen, die neue heißt paradise lost, mit Soli explizit für die hinteren Pulte des Orchesters und dem Einsatz der Ondes Martenot, mit ihren besonderen, technisch erzeugten Klangfarben.
Jubel über all das; der Katzenjammer wird kommen, wenn Joana Mallwitz tatsächlich geht.