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Sinfonik in der DDR. Werke von Eisler, Dessau, Wagner-Régeny, Butting, Cilensek, Geißler, Matthus, Goldmann, Katzer, Schubert, Weiss

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Berlin Classics 0184502BC, 5 CDs
erschienen in: das Orchester 01/2009 , Seite 69

Die Sinfonie – eine ca. 1950 ausgestorbene Gattung? Mitnichten. Abseits westlicher Hochburgen entstanden riesige Werkzyklen. Aber die Produktion im „zweiten Deutschland“ blieb bis zur „Wende“ und auch später unbemerkt: Was schon Schostakowitschs Ruf als angeblicher „Staatsmusiker“ schwer beschädigt hatte, galt nicht weniger für die Komponisten in der DDR. Man ist sehr überrascht, was da für Schätze liegen. Eine Box mit fünf CDs macht bekannt mit 14 sinfonischen Werken aus der Feder von elf DDR-Komponisten. Das profunde Handwerk ist das erste, was direkt hörbar ist. Darüber hinaus aber spürt man und kann es bei genauerer Untersuchung auch belegen: Die Widrigkeiten des Lebens und die sowohl geförderten wie stets auch eingeengten Möglichkeiten des Künstlers in diesem totalitären Staat schlugen sich oft in den Werken nieder, vor allem in den letzten Jahrzehnten der Mauer-Republik.
Wenn Siegfried Matthus etwa in seiner Zweiten (1976) ein ausgedehntes Streicherfugato als „Konfliktlösung“ im Finale anbietet, so stand dem musikliebenden Publikum die Verbindung zu Schostakowitschs Vierter (1936) offen vor Augen: das Symbol eines durch die Staatsmacht geknechteten Werks und seines Schöpfers. Matthus’ kraftvolle, bläserstarke und formal zerrissene Tonsprache sprengt dabei jede ästhetische Konformität – und schon gar jede politische. Auch Goldmanns Erste (1972/73) entstand „als kritischer Beitrag zu dieser Gattung in unserem Lande“. Anlehnungen an Strawinsky, Webern und Boulez (Goldmann besuchte Ende der 1950er Jahre die Darmstädter Ferienkurse) lassen vermuten, dass auch hier mit „staatstragender“ Musik nicht zu rechnen war und ist.
Eine Generation früher sind die Werke noch geschlossener im Sinn einer durch die Nacht zum (kommunistisch leuchtenden) Licht strebenden sinfonischen Dramaturgie. Johann Cilenseks Vierte (für Streicher, 1958) lehnt sich an das klassische Formgerüst an, doch schon Max Buttings Neunte (1956) und Fritz Geißlers Zweite (1961-63) – beide arbeiten mit zwölftönigen „Gerüsten“ – vermeiden scheinbar jeden Hurra-Patriotismus. Inwieweit „staatstragende“ Sinfonik dennoch musikalischer Alltag war und wie sich ihre Schöpfer mit dem DDR-System arrangierten – das sind Fragen, die die Musikwissenschaft noch beantworten muss. Manfred Schubert und Manfred Weiss schließlich schufen schon Ende der 1970er Jahre dezidiert subversive Musik: Schuberts Erste (1979/82) verwendet musikalisches Material der südamerikanischen Befreiungsbewegung und unterlegt es mit einem verfremdeten Bach-Choral – Ausdruck des Protests gegen jede Art von Diktatur.
So entsteht das Bild einer Werkgruppe deutscher Nachkriegs-Sinfonik, deren sträfliche Nichtzurkenntnisnahme im Westen fast beschämende Züge trägt. Die BRD jedenfalls hatte im gleichen Zeitraum kaum Ähnliches aufzuweisen. Interpreten dieser CDs sind: Gewandhausorchester Leipzig, Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig & Berlin, Staatskapelle Dresden, Orchester der Komischen Oper Berlin, Berliner Sinfonie-Orchester; es dirigieren Herbert Blomstedt, Paul Dessau, Hans-Peter Frank, Wolf-Dieter Hauschild, Herbert Kegel, Kurt Masur, Siegfried Matthus, Václav Neumann, Max Pommer und Kurt Sanderling.
Matthias Roth