Bernd Feuchtner
Not, List und Lust
Schostakowitsch in seinem Jahrhundert
Bernd Feuchtners große Schostakowitsch-Monografie hat seit dreißig Jahren den allgemeinen Blick auf diesen Komponisten hierzulande ähnlich bedeutend verändert wie die deutsche Übersetzung der sogenannten Volkov-Memoiren, die mit dem offiziellen Anschein des der Sowjet-Ideologie treu ergebenen Staatskünstlers Schostakowitsch aufräumten. Schostakowitsch-Publikationen aus der DDR-Sphäre erschienen damit fragwürdig; gleichermaßen widersprach Feuchtners Haltung dem musikologischen Mainstream im Westen, der, von Adorno- und Avantgarde-Verdikten geprägt, Schostakowitschs uvre unter materialästhetischen Prämissen für antiquiert erklärte und geringschätzte.
Feuchtner gehört gewiss zu den umfassendsten deutschen Schostakowitsch-Kennern, und so könnte man dankbar sein, dass er in gleicher Sache nun nachlegte und eine zweite Darstellung präsentiert. Schostakowitsch in seinem Jahrhundert der Untertitel verspricht einen erweiterten Rahmen, und tatsächlich werden, zusammen mit der Hauptfigur, wichtige Komponisten des 20. Jahrhunderts porträtiert. Besonders Erhellendes sagt Feuchtner dabei über Hindemith, Eisler und Britten; flüchtiger gestreift werden Prokofjew und Strawinsky. Eingehend gewürdigt wird die wichtigste Referenz-Persönlichkeit Gustav Mahler. Den Hut ziehen und zugleich ein wenig schmunzeln kann man darüber, dass Feuchtner, als Frankfurter der 1968er-Generation unweigerlich vom Adorno-Bazillus erfasst, sich überproportional an der Ästhetik der Kritischen Theorie abarbeitet, während er ansonsten zu eher pauschalen philosophischen Schlenkern neigt. Sprachlich herrscht in den Texten oft eine gewisse Unbedenklichkeit sie sind zwar frei von lästiger Fliegenbeinzählerei, nicht aber von umgangssprachlichen Fertigteilen und gelegentlichen Plattheiten (Vorliebe für Wörter wie quietschvergnügt und pudelwohl).
Es gibt also einige Unwuchten in diesem Band; reizvolle und weniger überzeugende. So hätte man gerne neben Schostakowitsch ein Parallel-Bildnis des erst unlängst berühmt gewordenen Komponistenfreundes Mieczyslaw Weinberg vorgefunden dieser Name fällt leider nur ganz peripher. Ebenso vermisst man einen Essay über Schostakowitsch und seine Schüler er hätte, namentlich anhand der eminent religiös inspirierten Galina Ustwolskaja, die von Feuchtner nur andeutend erwähnte Liberalität des Kompositionslehrers erhärtet. Solche Leerstellen deuten auf die Konzeption des Bändchens, mit der es sich Feuchtner wohl doch etwas leicht machte, sodass man fast von einer halb vertanen Chance sprechen muss. Denn es handelt sich ausnahmslos um zusammengekehrte Gelegenheitstexte (Vorträge, Rundfunksendungen, auch ein Filmexposé); selbst eine ausführliche aktuelle Einführung schenkt sich der Autor. Geschweige, dass er sich zu neuen eigenen Forschungen verstanden hätte etwa einer empirischen Untersuchung über die deutschen Schostakowitsch-Aufführungsfrequenzen seit 1945 samt ihren Motivationen und Hintergründen. Hoffen wir darauf, dass er all das noch nachholt in einem womöglich dritten Schostakowitsch-Streich.
Hans-Klaus Jungheinrich