Uwe Kraus

Nordhausen: Unterwerfung, Emanzipation und Vergebung

Ein düsterer Doppelabend mit Oper und Ballett am Theater Nordhausen

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 02/2022 , Seite 47

Sie gilt als älteste Familiengeschichte überhaupt: jene von Kain und Abel. Die Oper von Christoph Ehrenfellner, die eigens für das Theater Nordhausen entstand und dort nun uraufgeführt wurde, geht jedoch weit über die Seiten der Bibel hinaus. Ehrenfellner gibt Eva eine Stimme, lässt sie über den Verlust beider Söhne klagen, sodass sie die archaische Handlung quasi rahmt.
Christoph Ehrenfellner wirkte bis 2019 als Composer in Residence am Theater Nordhausen. Für seine Oper Kain und Abel schrieben Intendant Daniel Klajner – der zudem auf dem Regiestuhl sitzt – und Ex-Chefdramaturgin Anja Eisner nach der alttestamentlichen Vorlage das Libretto voller Eifersucht und Mord. Was der Salzburger Ehrenfellner da in Noten setzt, gleicht einem Psychodrama. Da emanzipiert sich eine Frau neben einem sich gottgleich gebärdenden Vater. Eine aufwühlende Oper weniger über Gott als vielmehr über patriarchalisch geprägte familiäre Strukturen, die eine Tragödie gebären.
Auf Eva, die Frau, richtet sich der Fokus: Sie leidet, unterwirft sich, gibt anfangs klein bei. Ihre Bitte, auch Kains Opfer anzunehmen, ignoriert der gestrenge, übermächtige Adam. Dann bricht all das, was da schwelt, offen aus. Aus dem klassischen Vater-Sohn-Konflikt wächst der Bruderhass, der eskaliert und mit dem Mord an Abel aus Kränkung und Eifersucht kulminiert. Kain kann – so hart er auch den Acker bestellt, so gut er die Ernte einfährt, so sehr er sich schindet und auch verbiegt – den Ansprüchen dieses über ­allem schwebenden Vaters nicht genügen. Eva verliert gleich beide Söhne. Doch aus diesem tief reichenden Verlust schöpft sie Kraft zur Emanzipation und tötet Adam.
Die Komposition von Christoph Ehrenfellner erinnert in der musikalischen Form an Wagners leitmotivische Zuordnung der Protagonisten und an die Komponisten der Romantik. Aus dem für Corona-Zeiten üppig besetzten Orchestergraben klingt unter dem gut ausformenden Dirigat von Henning Ehlert große Oper mit starker, berührender Musik – nicht zuletzt das Verdienst des exakt agierenden Loh-Orchesters Sondershausen.

 

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2022.