Henri Bertini
Nonetto op. 107/Grand Trio op. 43
Linos Ensemble
Henri Bertinis Nonett ist ganz sicher eine seiner ungewöhnlichsten Kompositionen. Und zumindest die Besetzung dürfte auch so ziemlich einzigartig in der Welt der Kammermusik sein – sofern man überhaupt von Kammermusik sprechen will. Das Barock hätte hier vermutlich den Begriff Serenade verwendet, und im 20. Jahrhundert hätte die Bezeichnung Kammersinfonie ganz gute Dienste geleistet.
Fast sinfonisch ist die Besetzung, die zum allgemeinen Erstaunen sicher auch der Zeitgenossen des Komponisten weder eine Violine noch eine Klarinette vorsieht. In Richtung der größeren Form weist aber auch das Miteinander von Klavier, Streichern und Bläsern. Im Gegensatz zur Erwartungshaltung manch eines Zuhörers, dem der Name Henri Bertini vielleicht nur im Zusammenhang mit Etüden und Präludien geläufig ist, möchte sein Opus 107 kein Klavierkonzert im Salon-Format sein.
Die orchestral anmutende Besetzung mit zwei Blechbläsern (Horn und Trompete) und basslastiger Streichergruppe (Viola, Violoncello und Kontrabass) bedarf der feinen Abstimmung, damit Bertinis wohl-proportionierte musikalische Strukturen nicht erdrückt werden. Das Linos Ensemble bekommt das exzellent hin, und vermutlich hilft die wie immer sehr saubere Tontechnik von cpo auch ein bisschen mit, das Blech im Zaum zu halten.
Die neun Musikerinnen und Musiker um die Pianistin Konstanze Eickhorst entwickeln ein in den schnellen Sätzen sehr flüssiges und motorisch nicht überzeichnendes Nonett, das im „La Melancolie“ überschriebenen langsamen Satz nachdenklich innehält und sich sehr ernsthaft wegbewegt von der Nähe zum Salon, die die übrigen Abschnitte nicht immer ganz verleugnen können. Das Linos Ensemble bringt diesem Nonett viel Ernsthaftigkeit entgegen und vermag durch absolut tadellose instrumentale Linien und Farben zu überzeugen. Alles ist gut aufeinander abgestimmt und die verschiedenen Stimmen greifen entspannt und souverän ineinander. Dieser Bertini muss nicht durch Virtuosität oder überzeichnete Akzente glänzen, er tut es durch eine blitzblank polierte Oberfläche.
Das Grand Trio op. 43 für die klassische Klaviertriobesetzung hat es trotz ähnlicher Länge nach dem großbesetzten Nonett auf dieser CD etwas schwer. Zwar ist auch hier der gehobene Pariser Salon an manchen Stellen nicht weit und dürfen die drei Ausführenden auch einmal instrumental brillieren, doch vermisst man zwangsläufig die schönen Bläserfarben und die Dynamik des fast schon sinfonischen Ensembles. Vielleicht hätte man die Reihenfolge umdrehen können, um dem keineswegs leichtgewichtigen Grand Trio etwas mehr Nachdruck zu ermöglichen. Auch hier ist die Interpretation des Linos Ensembles ein klares musikalisches Argument für den Rossini-Zeitgenossen Henri Bertini, den man abseits seiner Klavier-Übestücke einmal näher kennenlernen sollte.
Daniel Knödler