Goltermann, Georg

Nocturne

für Violoncello und Klavier a-Moll op. 115/3 und G-Dur op. 125/1, mit Fingersätzen und Strichen hg. von Fritz Zumkley

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2012
erschienen in: das Orchester 12/2012 , Seite 67

Sie ist uns weit entrückt, die Zeit der Salons und Soiréen, ja selbst der privaten Hausmusikabende im gehobenen Milieu des späten 19. Jahrhunderts. Nicht einmal das Klingeln eines Telefons gefährdete solchen Frieden, geschweige denn Auto- oder Flugzeuglärm oder gar Ruhestörendes aus der digitalen Welt. Mehr noch als die zeitüberdauernden Meisterwerke jener Epoche vermögen uns Piècen wie die hier vorgelegten Nocturnes von Georg Goltermann in diese Sphäre zurückzuversetzen. Es handelt sich um technisch wie musikalisch nicht übermäßig anspruchsvolle Stücke, die ihren Zweck durchaus erfüllten, wenn sie Musikern wie Zuhörern “selige Augenblicke” oder weniger faustisch gesagt: einige gefühlsbetonte musikalische Minuten bescherten.
Georg Goltermann (1824-1898) stammte aus Hannover und erlernte das Cellospiel bei August Christian Prell, der seinerseits noch bei Bernhard Romberg studiert hatte. In München komplettierte Goltermann seine Ausbildung bei Joseph Menter sowie kompositorisch bei Franz Lachner. Nach Reisejahren und einer Anstellung in Würzburg wurde er 1854 erster Kapellmeister in Frankfurt. Der Cellistenwelt ist Goltermann bis heute ein Begriff: Seine Virtuosen-Konzerte berühren nicht selten die Grenze dessen, was zur Entstehungszeit auf diesem Instrument möglich war. Das vierte seiner acht Konzerte hingegen richtet sich dezidiert an fortgeschrittene Schüler und hat in diesem Milieu nach wie vor einen festen Repertoireplatz.
Daneben komponierte Goltermann eine Vielzahl von Charakterstücken – Romanzen, Rêverien, Nocturnes –, die allesamt im unteren und mittleren technischen Schwierigkeitsgrad angesiedelt sind. Diesem Umfeld entstammen auch die hier publizierten Nocturnes. Beide sind von schwärmerischer Melodik erfüllt und bewegen sich in der cellistischen Sahne-Region zwischen dem kleinen d und dem eingestrichenen h. Daumenlage wird nirgends verlangt, Doppelgriffe und Akkorde fehlen, exponiertestes Ausflugsziel ist ein einziges hohes Flageolett-A. Weist das a-Moll-Nocturne eine klare, durch achttaktigen Periodenbau untermauerte ABA-Form auf, so ist die Binnengestaltung im (kürzeren) G-Dur-Nocturne flexibler: Aus dem Anfangsgedanken wird ein zweites Thema abgeleitet, dessen episodische Ausschmückung organisch zurückleitet zur variierten Wiederholung des ersten Teils.
Ein kleiner Schönheitsfehler dieser charmanten Veröffentlichung sei nicht verschwiegen: Portato ist, ebenso wie Legato, ein Fachbegriff für eine bestimmte Artikulationsart. Den Empfehlungen des Herausgebers Fritz Zumkley zu diesem Thema kündigen wir unsere Gefolgschaft, empfiehlt er doch den “Portato-Strich”, “ein Legato, bei dem jeder der unter einem Bogen gebundenen Töne eine Art ,Nachbrenner’ erhält”. Das ist, mit Verlaub, purer Dilettantismus, oder genauer: die beschönigende Umschreibung nicht-gekonnten Legatos! So sollte man Goltermann gerade nicht spielen!
Gerhard Anders