Haydn, Franz Joseph / Wilhelm Fridemann Bach
No. 2 – Il Filosofo, Haydn 2032 / Symphonien 46, 22, 47 / Symphnie in F-Dur
Il Giardino Armonico, Ltg. Giovanni Antonini
In 17 Jahren wird Papa Haydn 300, genau genommen am 31. März 2032. Weil nun Franz Joseph Haydn als Protagonist der Wiener Klassik im Laufe seines langen Lebens nach aktueller Zählung 107 Sinfonien geschrieben hat, kann man mit dem Start einer Gesamteinspielung, die zum runden Geburtstag fertig sein soll, nicht früh genug anfangen. So weitsichtig verteilt macht das nämlich ziemlich genau sechs Sinfonien pro Jahr. Haydn 2032 heißt dieses privat finanzierte Projekt, das mithilfe von Mäzenen über die Joseph Haydn Stiftung Basel realisiert wird. Auf der künstlerischen Seite sind daran der Dirigent Giovanni Antonini sowie die Alte-Musik-Spezialisten Il Giardino Armonico und das Kammerorchester Basel beteiligt. Plan ist, die mit historischen Instrumenten musizierte Sicht auf Haydn über 19 Konzertsaisons von der Schweiz aus über Berlin nach ganz Europa zu exportieren. Live und nach und nach komplett. Nach den Konzerten gehts dann ins Tonstudio.
Nun gibt es reichlich Haydn-Gesamtaufnahmen, die einzige historisch informierte von Christopher Hogwood blieb jedoch unvollendet. Dieser Zustand soll 2032 Vergangenheit sein. Immerhin liegt jetzt die zweite Folge der schon viel beachteten Reihe Haydn 2032 vor, in der Antonini die Sinfonie Nr. 22 Der Philosoph ins Zentrum stellt. Das ist in jeder Hinsicht schlau, denn das gibt nicht nur einen griffigen Titel für die CD, sondern stellt Haydns Meisterschaft in der kreativen Auseinandersetzung mit überkommenen musikalischen Formen in den Mittelpunkt des Interesses. Nicht nur in den Streichquartetten hat Haydn so ziemlich alles ausprobiert, was damals möglich war, auch in der Sinfonie kann er schon mit nicht gerade mal 32 Jahren einfach ein Adagio an den Kopf setzen, das mit seinen insistierend pochenden Achteln geradezu antikisierende Züge annimmt.
Mit 40 Jahren er war inzwischen Chef der Esterházyschen Hofkapelle durfte er sogar in H-Dur komponieren und dieser Symphonie Nummer 46 einen geradezu grotesken Schlusssatz anfügen. In der Nummer 47 lässt Haydn sein Orchester originellerweise zehn Menuett- und zwölf Trio-Takte zuerst wie geschrieben und dann rückwärts spielen, was dem Werk den Namen Palindrom einbrachte. Und Antonini gelingt mit der Hinzunahme von Wilhelm Friedemann Bachs rund 30 Jahre früher entstandener, wirklich reichlich schräger Dissonanzen-Sinfonie ein anderer Blick in eine Zeit, die sich so ziemlich alles erlauben durfte.
Die Qualität der Interpretation ist überragend. Jede Note atmet Aufbruchstimmung: federnd beschwingt, grotesk, humorvoll, schroff, lieblich, voller Emotion und Erfindung. Il Giardino Armonico präsentiert jedes noch so kleine Detail mit einer Lust an Farben, Dynamik und Phrasierung, sodass man schon jetzt von einer Referenzaufnahme sprechen möchte. Die Booklets übrigens gestalten Fotografen der renommierten Agentur Magnum Photos, in diesem Fall Chris Stelle-Perkins. Neben dem Ohrenschmaus also auch eine Augenweide.
Armin Kaumanns