Niels Wilhelm Gade/Felix Mendelssohn Bartholdy

Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 15/Reformationssymphonie

(Bearbeitung Torsten Sterzik), Julia Sophie Wagner (Sopran), Martin Petzold (Tenor), Camerata lipsiensis, GewandhausChor, Ltg. Gregor Meyer

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Querstand
erschienen in: das Orchester 05/2018 , Seite 71

Mit der Übersiedlung des jungen dänischen Musikers Niels Gade nach Leipzig begann eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Schumann und Mendelssohn wurden seine Mentoren und Freunde, mit Letzterem teilte er sich das Amt des Gewandhauskapellmeisters und wurde schließlich sein Nachfolger. Zu seinen Lebzeiten wurde er einer der meistgespielten Komponisten, blieb aber von heftiger Polemik nicht ver­schont. Der Musikkritiker Niels Wrschowitz in Fontanes Roman Der Stechlin verachtet Gade als „Inbegriff alles Trivialen und Unbedeutenden“ so sehr, dass er sogar unter seinem eigenen Vornamen leidet.
Wenn Hans von Bülow Gades Musik „mendelssohnsaures Schumannoxyd“ nennt, trifft dies einen wahren Kern insofern, als in Gades Tonsprache die Charakteristika seiner Vorbilder stets präsent sind. So auch in der hier eingespielten 3. Sinfonie aus dem Jahr 1847. Das unvermittelte Nebeneinander von Dur und Moll am Beginn des ersten Satzes erinnert an Schuberts G-Dur-Quartett und markiert später eine Art Reprise. Eine stetige Fortspinnung kleiner Motive ersetzt eine thematische Gliederung nach Art eines Sonatensatzes. Der zweite Satz ist ein ausgedehntes „Lied ohne Worte“ voller typisch Mendelssohn’scher Wendungen. Die Aura nordischer Folklore klingt im dritten Satz an. Ei­ne lebhafte, aber etwas ziellos kreisende Melodik prägt das Finale. So sehr Gades Tonsprache an klassizistische Vorbilder erinnert, erkennt man bei genauem Hören die Suche nach zukunftsweisenden Wegen.
Seine Reformationssinfonie komponierte Mendelssohn als 20-Jähriger zur 300-Jahr-Feier der Augsburger Konfession 1830. Die konfessionelle Bindung, die sich im letzten Satz in dem Luther-Choral Ein feste Burg manifestiert, mag ein Grund dafür sein, dass das Werk, mit dem der Komponist selbst haderte, erst später Verbreitung fand.
Die vorliegende Produktion präsentiert eine vokale Ergänzung des dritten und vierten Satzes von Torsten Sterzik. Dem dritten Satz ordnet er den Psalmtext „Herr Gott, du bist unsere Zuflucht“ zu; den Hauptteil des Satzes wiederholt er, um den Text auf Sopran- und Tenorsolo zu verteilen. Die Singstimmen folgen den melodisch führenden Instrumentalstimmen. Im letzten Satz tritt der Chor hinzu und markiert im Wechsel mit den Solisten die Choralzeilen und deren thematische Ableitungen. Sterziks Ergänzungen lassen Form und Struktur des letzten Satzes plastisch hervortreten und sind somit von didaktischem Wert. Die Unisono-Chorblöcke wirken etwas überdimensioniert, vor allem das kraftvolle Skandieren der ersten Choralzeile am Schluss.
Die Camerata lipsiensis spielt in historisierender Manier in kleiner Streicherbesetzung, die die Bläser stark dominieren lässt. Das vibratolose Spiel der Violinen kontrastiert mit dem warmen Timbre von Julia Sophie Wagner. Der gleichfalls vorzügliche Martin Petzold passt sich dem Stil des Orchesters mehr an. Das Klangbild ist sehr durchsichtig, lässt aber auch gnadenlos einige Schwierigkeiten hervortreten.
Jürgen Hinz