Renz, Thomas

Nicht-Besucherforschung

Die Förderung kultureller Teilhabe durch Audience Development

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Transcript, Bielefeld 2016
erschienen in: das Orchester 07-08/2016 , Seite 65

Klickt man sich durch die Webseiten deutscher Stadttheater, Sinfonieorchester oder Konzerthäuser, so fällt die Suche nach einer echten Marketingabteilung häufig so aus wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Anstelle dessen findet man immer noch Begrifflichkeiten wie „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“ oder „Besucherabteilung“. Vollends verräterisch sind Bezeichnungen wie „Marketing, Öffentlichkeitsarbeit & KBB“. Denn all diese Titel und Bezeichnungen verraten in der Regel eine mangelhafte betriebswirtschaftliche Organisation.
Zwar haben die meisten öffentlich finanzierten Orchester und Theater inzwischen ihre Abonnenten und Stammkunden in Datenbanken relativ gut erfasst. Erkenntnisse über potenzielle Besuchergruppen, also die Nicht-­Besucher bzw. Noch-Nicht Besucher, liegen in der Regel jedoch nicht vor. Dabei geht es bei der Publikumsentwicklung, neudeutsch: Audience Development, gerade darum, strategische Erschließungsarbeit zu leisten. Um hier ansatzweise die richtigen Entscheidungen zu treffen und neue, zielgruppenspezifische Angebote zu entwickeln, ist es aber essenziell, durch Marktforschung und -beobachtung Grundbedürfnisse bislang nicht angesprochener Publikumsschichten zu ermitteln und die auf dieser Grundlage getroffenen unternehmerischen Entscheidungen später kontrollieren, hinterfragen und korrigierend anpassen zu können.
Das Buch von Thomas Renz befasst sich vor allem mit dem bisherigen Stand der Nicht-Besucherforschung. „Innerhalb der Besucherforschung existieren wesentlich mehr empirische Erkenntnisse zu Besuchern als zu Nicht-Besuchern.“ Dieser Satz beschreibt treffend das vorhandene Dilemma. Um dieses aufzulösen, hat der Autor zunächst zahlreiche vorliegende Umfragen und Besucherstudien ausgewertet (Sekundäranalyse) und sich dabei vor allem auf Aussagen und Motivationen konzentriert, die Menschen vom Kulturbesuch abhalten. Auf dieser Grundlage wurden dann gezielte Interviews mit Menschen unterschiedlicher Schichten und Berufs-
felder im Alter zwischen 19 bis 69 Jahren geführt. Aus der Zusammenschau beider Untersuchungen ergeben sich sehr interessante Aussagen. Zum Beispiel: „Die Begleitung stellt das zentrale Besuchsmotiv für Gelegenheitsbesucher dar… Persönliche Empfehlungen haben den höchsten Wert für Besuchsentscheidungen.“ Derart konkrete Aussagen lassen Marketingfachleute jubeln. Denn sie können Anlass sein, konkret über entsprechende neue Angebote nachzudenken wie: „Kaufe eine Karte und bekomme eine weitere geschenkt.“ Und dies ist nur eine von zahlreichen weiteren Überlegungen und Ideen, die sich aus der Lektüre des Buchs ergeben.
Das Buch ist insgesamt sehr übersichtlich strukturiert. Am Ende jedes Kapitels werden die wesentlichen Erkenntnisse zusammengefasst. Einzelne Grafiken veranschaulichen komplexere Zusammenhänge. Jeder, der in einem Orchester, Theater oder Konzerthaus für die künstlerische Planung oder das Marketing zuständig ist, wird in diesem Buch eine Fülle hilfreicher Anregungen für die Schaffung neuer Angebotsstrukturen finden.
Gerald Mertens