Olga Neuwirth

Miramondo multiplo…/Remnants of Songs… An Amphigory Masaot/Clocks without Hands

Håkan Hardenberger (Trompete), Gustav Mahler Jugendorchester, Ltg. Ingo Metzmacher / Antoine Tamestit (Viola), ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Ltg. Susanna Mälkki

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Kairos 0015010KAI
erschienen in: das Orchester 09/2020 , Seite 93

Dieser Tonträger hat es wirklich in sich: Auf ihm vereint sind Werke von Olga Neuwirth, einer der bedeutendsten Komponistinnen unserer Zeit, welche von herausragenden Solisten und hochkarätigen Klangkörpern interpretiert sowie von namhaften Dirigenten geleitet werden.
Im 2005/06 entstandenen fünfsätzigen Werk “…miramondo multiplo…” für Trompete und Orchester brilliert kein Geringerer als Håkan Hardenberger, dem Neuwirth dieses Opus widmete. Anders als bei der Uraufführung im Jahr 2006, bei dem neben dem Widmungsträger die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Pierre Boulez zu erleben waren, stand bei dieser Aufnahme Ingo Metzmacher am Pult und leitete das Gustav Mahler Jugendorchester. Gewohnt beeindruckend musizieren diese jungen Orchestermusiker auf allerhöchstem Niveau. Sie verstehen es, unter der Leitung ihres Maestros geschickte Spannungsbögen aufzubauen und die Hörer in ihren Bann zu ziehen. An Håkan Hardenbergers fantastischem Klang kann man sich nicht satt hören und möchte nur über die vielen grandiosen Momente staunen, die dieses fulminante Werk mit seinen vielen Zitaten aus dem Schaffen Georg Friedrich Händels und einigen jazzigen Reminiszenzen bietet.
Das Violakonzert “Remnants of Songs… An Amphigory” von 2009 besteht aus fünf Erinnerungsbildern, mit denen Olga Neuwirth teils auf persönliche Verluste Bezug nimmt und Wandern, Suchen, Verlorensein, Trauma und Tod zu den bestimmenden Momenten dieses Werks macht. Die Komponistin spielt im ersten Satz geschickt auf eine österreichische Tradition an: Es erklingt die Ratsche, welche in ländlichen Gegenden auch heutzutage noch in der Karwoche die Kirchenglocken ersetzt, um den Tod zu vertreiben. Der zweite und dritte Satz „Sadko“ und „…im Meer versank…“ sind inhaltlich an die gleichnamige altrussische Volkssage angelehnt. Geradezu verstörend wirken die wunderschönen Bratschen-Cantilenen des vierten Satzes („Sils Maria“), welche beständig durch kontrastierend laute Einwürfe des Orchester zerstört werden. Bravourös interpretieren hier der französische Bratschist Antoine Tamestit und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Susanna Mälkki.
Die CD schließt mit “Masaot/Clocks without Hands”, in der Neuwirth sehr persönlich über ihre zersplitterte Herkunft erzählt, die musikalisch anklingt: Alltags- und Naturgeräusche, eine Schreibmaschine, das Ticken von Uhren, die burlesk musizierende Blasmusikkapelle, jiddische Melodien, der Kirchenchoral und jazzige Harmonien fließen ineinander und ergeben eine einzigartige Geschichte. Das ganze meisterhaft gespielt von den Wiener Philharmonikern unter Daniel Harding.
Olga Neuwirth ist mit Sicherheit eine der genialsten Komponistinnen unserer Zeit und dieser Tonträger mit ihren Werken beweist, wie lohnenswert deren Aufführung sein kann!

Kristin Thielemann