Maurer Zenck, Claudia (Hg.)
Neue Opern im “Dritten Reich”. Erfolge und Misserfolge
mit Beiträgen von Sara Lengowski, Heinz-Peter Martin, Britta Matterne, Claudia Maurer Zenck, Axel Schmidt, Tim Steinke, Fabian Zerhau
Bestechendes Beispiel für Emporkömmlinge sind die nationalsozialistischen Kulturbarbaren: Sie stellten sich mit ihrem tausendjährigen Reich einerseits gezielt in große Traditionen; andererseits gerierten sie sich als die Innovatoren, die nach den Verfallsjahren der Weimarer Republik eine neue deutsche Kunstepoche einleiten auch im Bereich des Musiktheaters.
Ein sprachlich beeindruckend klar formulierter Sammelband des Instituts für Historische Musikwissenschaft der Universität Hamburg stellt nun anhand der Bühnenwerke von Rudolf Wagner-Régeny, Norbert Schulze, Mark Lothar und Paul Graener Erfolge und Misserfolge vor und analysiert historisch, soziologisch und musikologisch differenziert Hintergründe, Strategien und Folgewirkungen. Dabei hat die federführende emeritierte Hamburger Professorin Claudia Maurer Zenck ihre sechs Mitautoren nicht nur wissenschaftlich alles biografische Material samt aktueller Sekundärliteratur bearbeiten lassen, die Autoren-Duos dabei sprachlich auf ein bruchlos gleichwertiges Niveau einschwören können, sondern alle auch zu einer analytisch-kritischen Grundhaltung verpflichtet.
Parallel zur inneren Emigration etlicher Literaten reklamierten ja die Komponisten speziell nach 1945 die verdeckte Schreibweise gegen die Anpassung an die NS-Musikpolitik für sich diese Beschönigung wird mit 53 exemplarischen Notenbeispielen und vielen Libretto-Zitaten quer durch mehrere Bühnenwerke der genannten Komponisten widerlegt. Eindrucksvoll entlarvt wird auch die jeweilige Streichung und Umformulierung von nicht-NS-konformen Textstellen samt der damit einhergehenden musikdramatischen Abmilderung und auch Banalisierung herausfordernder Grenzsituationen z.B. von Büchner-Texten in Wagner-Régenys Günstling, von Kleists Jamben-Sprache in Graeners Prinz von Homburg, aber auch in Norbert Schultzes vermeintlich unpolitischen Märchenopern wie Schwarzer Peter und Das kalte Herz.
Erkennbar wird, dass die von Goebbels 1936 monierte Dürre im Bereich der Oper nicht behoben wurde. Während sich die NS-Künstler Thorak, Breker oder Troost in Gigantomanie austobten, gelang den Komponisten vergleichbare Heroik nicht: So wirken etwa Wagner-Régenys Bürger von Calais zwergenhaft vor der Expression von Rodins Plastik und der sprachlichen Wucht von Georg Kaisers Drama.
Als Fazit bleibt: Die vier nach 1933 geförderten und im Buch ausgewählten Komponisten konnten den von den NS-Musikideologen durchgesetzten Wegfall zahlreicher jüdischer und fremdländischer oder sonstwie unerwünschter Werke nicht ausgleichen. Die NS-Forderung nach der neuen Volksoper wurde nicht erfüllt. All das belegt der Sammelband unideologisch glasklar. War bislang oft bei kritischer Opernanalyse auf englische Fachliteratur zurückzugreifen: Hier liegt ein glänzendes Beispiel aus der deutschen Musikwissenschaft vor.
Wolf-Dieter Peter