Claudius Böhm

Neue Chronik des Gewandhausorchesters

1. Band: 1743-1893

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Kamprad, Altenburg
erschienen in: das Orchester 07-08/2018 , Seite 56

275 Jahre ist das Leipziger Gewandhausorchester alt. Es gab zwar schon seit 1479 Stadtmusiker in Diensten der Stadt, doch erst 1743 wurde von 16 jungen Adligen und Bürgern eine neue Konzertgesellschaft gegründet, das „Leipziger Concert“. Es unterschied sich von den bestehenden Collegia musica, den studentischen Musiziergemeinschaften, dadurch, dass es durch einen hohen Jahresbeitrag der Gründer finanziert und von einem mehrköpfigen außermusikalischen Management geleitet wurde. In der 16-köpfigen Kapelle spielten Stadt- und Kirchenmusiker mit Studenten gemeinsam. Es war die Geburtsstunde des Gewandhausorchesters.
Claudius Böhm zeichnet in 14 Kapiteln akribisch die wechselvolle Geschichte der Entwicklung des Orchesters nach, von den Anfängen bis 1893, dem Jahr seines 150-jährigen Bestehens in Form einer strengen, übersichtlichen Chronologie. Es ist der erste Band einer profunden Gesamtdarstellung der Orchestergeschichte. Der zweite Band, der bis zur Gegenwart reichen soll, wird im November 2018 erscheinen.
Böhms Chronik enthält zahlreiche wenig bekannte Tatsachen, Anekdoten und Urteile von Zeitgenossen über Dirigenten, Musiker und Sänger, die in der Leipziger Musikgeschichte eine Rolle spielten, aber auch Details über die wechselnden Organisationsformen, Programmgestaltungen und Aufführungsorte der Stadt. Man kann sie in über 200 exquisiten Abbildungen in Augenschein nehmen: die Universitätskirche am Grimmaschen Tor; das Gasthaus „Drey Schwanen“, in dem am 3. Januar 1751 erstmals in Leipzig im Rahmen der Drey-Schwanen-Konzerte Händels Feuerwerksmusik aufgeführt wurde; die Thomaskirche; das Schauspielhaus auf der Ranstädter Bastei (dort musste das Orchester bis 1864 Zwischenaktmusiken spielen); das alte Gewandhaus, in das man am 25. November 1781 einzog; Altes und Neues Theater, in dem bis heute das Orchester Dienst tut; und Buchhändlerbörse und Marktplatz, wo man am 2. Juni 1840 mit eigens dafür komponierten Werken von Mendelssohn Bartholdy 400 Jahre Buchdruckerkunst feierte.
Der Band ist aber auch eine Chronik der Leipziger Musiker und Gewandhauskapellmeister sowie der der Künstler, die in Leipzig zu Gast waren und folgenreiche Eindrücke hinterließen. Alles, was in der Musikwelt Europas Rang und Namen hatte, kam nach Leipzig im 18., mehr noch im 19. Jahrhundert: Louis Spohr, Giacomo Meyerbeer, Felix Mendelssohn Bartholdy, Jenny Lind, Johannes Brahms, Franz Liszt, Hector Berlioz, Pablo de Sarasate, Richard Wagner, Robert Schumann und viele andere mehr.
Leipzig mit seinem Gewandhausorchester war im 19. Jahrhundert in deutschen Landen die Musikmetropole schlechthin. Die opulente Publikation lässt keinen Zweifel daran. Sie veranschaulicht ein differenziertes Gesamtbild der ersten 150 Jahre des bedeutendsten Orchesters im mitteldeutschen Zentrum bürgerlichen Musiklebens. Man darf auf den zweiten Band gespannt sein.
Dieter David Scholz