Johannes Brahms

Nänie op. 82

Hg. von Rainer Boss, Urtext, Partitur

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Carus
erschienen in: das Orchester 02/2022 , Seite 66

Sie ist ein Abschiedsgesang, eine Totenklage und ein Requiem zugleich. Die Nänie, die Johannes Brahms auf den Tod Anselm Feuerbachs, einem der großen Maler seiner Zeit, geschrieben hatte, entstand neben dem Gesang der Parzen (1882) in der Phase, in der sich Brahms bereits auf seine Erfahrungen mit sinfonischer Musik beziehen konnte. Tatsächlich hatte sich Brahms ja erst 1876 als 43-Jähriger an die Gattung der Sinfonie gewagt.
Mit der Nänie gelang ihm am 6. Dezember 1881 in der Züricher Tonhalle ein großer Erfolg. Kein Zweifel, der Einfluss Feuerbachs insbesondere auf das sinfonische Werk Johannes Brahms’ ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Vor allem Feuerbachs Bildarchitektur und die antikisierend mythologischen Sujets fesselten und faszinierten Brahms – so sehr, dass er sich als schöpferischer Musiker von der lichten Klarheit dieser mit leuchtenden Farben prunkenden Formensprache bestätigt und ermutigt fühlen konnte.
Vielfach wird in der Literatur immer wieder auf das freundschaftliche Verhältnis der beiden Künstler hingewiesen, obgleich die ästhetische Verwandtschaft zwischen Musiker und Maler viel wirkmächtiger und tragfähiger war als die Tiefe ihrer zwischenmenschlichen Beziehung. So trafen sich die beiden Künstler zwar immer wieder, letztendlich aber ohne innig gefühlte Zuneigung oder gar menschliche Wärme füreinander zu empfinden. In einem Brief vom 18. März 1876 an Feuerbachs späteren Biografen Julius Allgeyer gab Brahms seine persönlichen Empfindungen auch erstaunlich offenherzig preis: „Feurbach, dem so lang und so sehr Verkannten, von mir so hoch Verehrten, sah ich gern viel nach. Aber nicht sowohl seine bodenlose Gleichgültigkeit gegen Alles und Jedermann, als vielmehr seine überhöfliche, zutrauliche Freundlichkeit gegen jeden Beliebigen, der ihm auf den Leib rückt, (…) sind unerträglich. Ich sehe ihn fast täglich und begnüge mich leider, ihn zu grüssen.“
Als Feuerbach dann 1880 in Venedig starb, wählte Brahms Schillers bereits 1799 in Distichen gefassten Trauergesang Nänie, um den Topos des Vergehens und Sterbens („Auch das Schöne muss sterben“) adäquat zu gestalten. In der Nänie, einem römisch-antiken Klagelied, hatte Schiller gleich drei tragische Beispiele aus der griechischen Mythologie vorgestellt: Orpheus und Eurydike, Aphrodite und Adonis, Thetis und Achilles. Im Gegensatz zur dichterischen Vorlage schließt Brahms jedoch voller Hoffnung und Trost. „Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten, ist herrlich.“
Der Carus-Verlag legt die Nänie in gewohnt hoher Qualität in einer neuen Urtext-Partiturausgabe vor, die auf dem Erstdruck als Hauptquelle basiert. Entsprechend heutiger Editionspraxis wird die Partitur in einen modernen Standard versetzt und die originale C- Schlüsselung im Sopran, Alt und Tenor zugunsten einer Violinschlüsselung geändert. So entsteht ein äußerst übersichtliches, einnehmendes und angenehm überschaubares Partiturbild.
Martin Hoffmann