Hans Werner Henze

Nachtstücke und Arien/ Los Caprichos/Englische Liebeslieder

Juliane Banse (Sopran), Narek Hakhnazaryan (Violoncello), ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Ltg. Marin Alsop

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Naxos
erschienen in: das Orchester 7-8/2022 , Seite 68

Einer der bedeutendsten und erfolgreichsten deutschen Komponisten des vergangenen Jahrhunderts war Hans Werner Henze (1926-2012). Nun erschien diese neue CD mit drei seiner wichtigsten Orchesterwerke.
Gleich das erste Stück ist ein Schlüsselwerk, denn Nachtstücke und Arien für Sopran und Orchester, entstanden 1957, markiert den Punkt, an dem Henze endlich zu einer persönlichen Synthese fand; zwischen der Strenge der Zwölftontechnik und des Serialismus sowie der Sinnlichkeit der Neotonalität, vor allem mittels einer Kantabilität nach italienischer Art. Drei instrumentale Nachtstücke wechseln darin mit zwei Vertonungen von Gedichten von Henzes geistiger Schwester, der österreichischen Dichterin Ingeborg Bachmann (1926-1973), die gleichfalls ab 1953 in Italien lebte. Der noch junge Komponist griff auf Vorbilder wie Richard Strauss oder den frühen Arnold Schönberg zurück und machte daraus etwas ganz Eigenes. Besonders bildhaft wirkt die zweite Arie „Mit schlaftrunkenen Vögeln“.
Die zweite Komposition Los Caprichos nach den gleichnamigen Radierungen von Francisco de Goya entstand 1963. Instrumentiert wurde sie vier Jahre später und noch im selben Jahr in Duisburg durch das damalige Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester (das heutige WDR Sinfonieorchester Köln) unter der Leitung von Christoph von Dohnányi uraufgeführt. Die neun meist kurzen Sätze bilden eine Einleitung mit Thema und sieben Variationen. Auch hier verbinden sich lange Melodie­linien mit abrupten Wechseln der Textur.
Das dritte und jüngste Werk auf der CD sind die Englischen Liebeslieder für Violoncello und Orchester von 1984/85, inspiriert durch entsprechende (aber ungenannte) Gedichte von William Shakespeare bis James Joyce und uraufgeführt 1986 in der damals ganz neuen Kölner Philharmonie, ebenfalls durch das Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester, diesmal dirigiert von Heinrich Schiff. Unter den (in der Fassung letzter Hand von 1998) sechs Sätzen findet sich auch ein (recht untypischer) Tango, an dessen Ursprung sich der Komponist nicht mehr erinnern konnte. Meisterhaft wirkt der allmählich zerfasernde und dennoch eindeutig abschließende Schluss.
Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien setzt die opulente Fülle leuchtender Klangfarben in dieser Musik sehr gut um, auch dank seiner neuen, seit September 2019 amtierenden Chefdirigentin Marin Alsop. Störend wirkt nur gelegentlich, dass längere Noten auf schwachen Taktzeiten als Synkopen missdeutet werden, als wäre Henze hier noch vom Jazz beeinflusst gewesen (das betrifft vor allem die Nachtstücke und Arien). Für besondere auditive Ereignisse sorgen auch die Sop­ranistin Juliane Banse und der Cellist Narek Hakh­nazaryan. Zum Naxos-Niedrigpreis ist diese CD ein Muss.
Ingo Hoddick

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