Parfenov, André
Nacht im Schloss
Iuliana Münch (Violine), André Parfenov (Klavier)
Kaum Entspannung, kein Licht nur Düsternis und Chaos. So muss es sich im Kopf eines kranken Menschen anfühlen wenn er zum Beispiel von Cluster-Kopfschmerzen betroffen ist. Davon gehen die Kammermusiker des Parfenov Duos in Nacht im Schloss aus und bringen das Befinden Betroffener musikalisch zum Ausdruck. Das Stück ist gleichzeitig namensgebend für die erste gemeinsame CD der Violinistin Iuliana Münch und des Pianisten und Komponisten André Parfenov. Auch die grafische Gestaltung der CD-Hülle hält sich an das beklemmende Thema. Lediglich Fotos der beiden Musiker und Beschreibungen der Stücke im Begleitheft unterbrechen die ganz in Schwarz und Rot getauchte Verpackung.
Die Aufnahmen widmen sich aber nicht nur diesem schweren Thema. Pilotentango beschreibt die Gefühle Parfenovs, als er vom Flugzeugunglück 2002 in Überlingen erfuhr, bei dem rund 50 Kinder aus seiner russischen Heimat starben. Zusammen mit den leidenden Tonsprüngen von Münchs Violine wirkt sein staccatoartiges Klavierspiel, als könne es das Geschehene noch nicht begreifen. Erst langsam sickert die Erkenntnis durch und der Zuhörer wird Zeuge davon, wie sich Unfassbarkeit in Trauer und Verzweiflung verwandelt. Mit Sicherheit eines der dramatischsten und leidenschaftlichsten Stücke dieser CD.
Geschrieben hat es Parfenov für das Ballett Verlorene Kinder. Wie auch bei allen anderen Aufnahmen ist er hierbei Komponist und Interpret zugleich. Denn Der Komponist auf der Bühne ist das Konzept, das die verschiedenen Stücke der CD zusammenhält. Einige davon sind Anlehnungen an Werke anderer Komponisten. So greift Parfenov in Hommage an Sergei Sergejewitsch den Cinderella-Walzer Sergej Prokofjews auf und formt ihn um. Dabei macht er sich die Handschrift Prokofjews mit ihren harmonischen Reibungen zu eigen.
Doch nicht nur dieses Stück weist solche Reibungen auf. Zur 1. Sinfonie von L.v. Beethoven ist wohl die einzige Vertonung auf der ganzen CD, die unbekümmert und ohne absichtlich eingebrachte Störfaktoren und Kanten daherkommt. Die Anlehnung an das Scherzo-Thema aus der ersten Beethoven-Symphonie findet außerdem als alleiniges Stück Wege aus der Klassik hin zu Jazzrhythmen: eine angenehm fröhliche und unerwartete Abwechsung zu den restlichen Aufnahmen. Mit Erfolg und Blamage eines Installateurs und Zahnarztpolka beweist Parfenov Humor in der Auswahl seiner Inspirationsquellen.
Das Parfenov Duo präsentiert sich auf Nacht im Schloss nur halb als Duo. Fast die Hälfte aller Aufnahmen werden allein vom Pianisten vorgetragen. Dass alle Stücke von Parfenov ebenfalls selbst komponiert wurden, tut ein Übriges. Innerhalb der Werke, die Münch und Parfenov zusammen interpretieren, durchleben sie allerdings die gleichen Entwicklungen und Dynamiken und harmonieren wunderbar miteinander. Trotzdem kündigt die CD nicht umsonst Werke von André Parfenov an und nicht das Parfenov Duo.
Laurena Frey