Nach der Musik
Ein Film von Igor Heitzmann
Ein großer Ruf eilt dem Film voraus, Lobeshymnen, diverse Preise. Ein persönliches Geständnis vorweg: Die Meinung dieser überschwänglichen Rezensionen kann ich nur bedingt teilen. Das Problem liegt in der fehlenden Trennung zwischen dem Film als Film und dem Menschen und Dirigenten Otmar Suitner (1922-2010), von dem dieser Film handelt. Dieser Mann, der von der Kritik so hoch gelobt wird, wirkt keineswegs nur positiv. Suitner ist keineswegs für jeden Betrachter die “faszinierende Persönlichkeit”, die “zwischen zwei Systemen und zwei Frauen” lebt. Als neutraler Betrachter fragt man sich schon, ob ein Mann, der als so “treu” gilt, wirklich treu ist, wenn er die Woche mit der einen und das Wochenende mit der anderen Frau verbringt und wenn er den Kontakt mit dem Kind bewusst reduziert, indem er Engagement über Engagement annimmt.
Die betroffenen Frauen indes schien und scheint diese geteilte Liebe im geteilten Deutschland nicht zu stören. Und auch der Sohn, Igor Heitzmann, der Filmemacher, der dem Vater durch diesen Film näherkommen, ihn verstehen möchte, wertet nicht. Er stellt nur dar und stellt Fragen. Er habe es einfach nicht anders kennen gelernt, das Leben mit seiner unverheirateten Mutter; bestenfalls einmal wöchentlich bekommen sie Besuch vom Vater, der im anderen Teil Berlins wohnt, verheiratet mit einer anderen Frau; gelegentlich liebevolle Briefe, Postkarten von den Tourneen durch die Welt, harmonisch anmutende Schwimmbadbesuche mit dem Kleinkind, sonntägliche Ausflüge mit Kind, Frau und Zweitfrau, eine zweisame Wanderung und eine Klavierstunde mit dem jungen Erwachsenen, vermutlich auch ein wenig Geld aus seiner Tätigkeit als Chefdirigent der Staatskapelle Dresden und als GMD der Deutschen Staatsoper Ost-Berlin. Der Sohn möchte nicht nur mit der Vergangenheit leben, sondern gemeinsame Erinnerungen mit seinem Vater teilen. Sie besuchen die Opernhäuser, fahren nach Innsbruck, Suitners Geburtsstadt. Der Wunsch, den Vater trotz Parkinson-Erkrankung einmal noch dirigierend zu erleben, wird erfüllt. Seine Frauen und sein Sohn sitzen im Publikum. Mozart Es-Dur natürlich, Suitners Lieblingssinfonie. Ohne Taktstock, weil der zuviel zittern würde.
Als Dirigent ist uns Suitner durch wunderbare Brahms- und Mozart-Aufnahmen, auch durch Mahler ein Begriff. Die in diesem Film verwendeten (Live-)Aufnahmen und die Dirigierstunden in der Wiener Musikhochschule sind beeindruckend und jedem zu empfehlen, der musikalische Leitung und Vermittlung ohne jede Selbstdarstellung, ohne Show, jedoch mit höchster Konzentration, Innigkeit und Verständlichkeit erleben möchte.
Der Film als Film, der gänzlich auf Effekte und Inszenierung verzichtet, ist gelungen, wenn man sich darauf einlässt, Stille und Langsamkeit, Schweigen und Warten auszuhalten. Ein leiser, persönlicher, intimer Film. Eigentlich kein Film für die Öffentlichkeit.
Carola Kessler