Ludger Vollmer
My love is as a fever
Streichquartett nach Sonetten von William Shakespeare, Partitur und Stimmen
Eine Auswahl von insgesamt fünf Sonetten William Shakespeares, nämlich Nr. 76, 10, 28 147 und 29, hat Ludger Vollmer (geboren 1961) seinem Streichquartett “My love is as a fever” zugrundegelegt – oder präziser: Der Komponist hat sich von Form und Inhalt dieser Gedichte zu fünf Sätzen inspirieren lassen, deren Abfolge und Titel – „Aufbruch“, „Kälte“, „Sehnsucht“, „Leidenschaft“ und „Glück“ – den Einfluss der poetischen Gebilde auf unterschiedlichen Ebenen widerspiegelt.
Der Anspruch hinter diesem Vorhaben sei es gewesen, so Vollmer in der kurzen Vorbemerkung zur Partitur, „sowohl vom emotionalen Ausdruck als auch von den technischen Anforderungen her“ ein Pendant zu Alban Bergs “Lyrischer Suite” zu schaffen“. Als Werkzeug hierzu habe ihm seine Kompositionstechnik gedient, deren spezielle Eigenarten sich der „Analyse und Transformation außereuropäischer Musik und der Musik, die in Europa vor tausend Jahren praktiziert wurde“, verdankten.
Konkret geschieht dies dadurch, dass Vollmer seine melodischen und harmonischen Gestaltungselemente aus Modi ableitet, die er ganz bestimmten emotionalen Situationen zuordnet. Der formale Aufbau der einzelnen Werkteile wiederum ergibt sich in den meisten Fällen – anhand der Sätze II bis V ist dies beim Blick in die Partitur klar erkennbar – in Korrespondenz mit der poetischen Form der Sonette.
Resultat dieser Grundsatzentscheidungen ist eine bewegliche, oft aus dem verflochtenen Gegeneinander rhythmisch parallel geführter Stimmenduette geformte Musik, die den Musikern einiges an Können abverlangt. In rhythmischer Hinsicht ist das Ensemble stark gefordert, weil der musikalische Fluss mit seinen ständig wechselnden Metren und Tempoübergängen eine präzise koordinierte Ausführung verlangt.
Doch auch die Intonation setzt einiges an Spielpraxis voraus, da die Melodik voller engräumiger chromatischer Tonfortschreitungen steckt und diese stellenweise auch in den Bereich der Mikrointervalle verschärft werden. Dass Vollmer mit alldem vorrangig auf die Herstellung von Atmosphären und Stimmungen zielt, also die Erleb- nisdimension seines Publikums im Blick hat, ist generell positiv zu vermerken, bleibt über die 32-minütige Spieldauer von “My love is as a fever” allerdings nicht unproblematisch.
Eine gewisse Penetranz stellt sich nämlich dadurch ein, dass die melodischen und rhythmischen Einfälle, obgleich permanent ihre Gestalt verändernd, immer wieder auf dieselben Tonhöhen- und Rhythmuskonstellationen zurückführbar sind und sich zudem – ob zufällig oder gewollt, sei hier dahingestellt – hin und wieder zu einer Phrase aus Rimsky-Korsakows “Scheherazade” verdichten. Dass darüber hinaus die Höhepunktgestaltung der Sätze meist ähnlich abläuft – ein Detail, das der formalen Orientierung an Shakespeares Sonetten geschuldet sein könnte –, trägt zudem zu einer gewissen Überraschungslosigkeit und Formelhaftigkeit des Stücks bei.
Stefan Drees