Bradler, Katharina / Martin Losert / Andrea Welte (Hg.)

Musizieren und Glück

Perspektiven der Musikpädagogik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2015
erschienen in: das Orchester 11/2015 , Seite 70

Ausgangspunkt der vorliegenden Publikation ist Ulrich Mahlerts Buch Wege zum Musizieren (Mainz 2011), in dem er Glücksfähigkeit als eine Zielperspektive der gegenwärtigen Musikpädagogik beschreibt. Die daraufhin entstandenen 13 Beiträge über die Möglichkeit, Erfüllung und Sinn in der Musik zu finden und „Glück“ in zeitgemäßer Musikpädagogik zu denken und zu praktizieren, kann man als erste Früchte der Auseinandersetzung mit dieser Thematik verstehen. Das Nachdenken über Musizieren und Glück geschieht hier aus verschiedenen Perspektiven: Texte aus der musikalischen und musikpädagogischen Praxis stehen neben neurowissenschaftlichen und historischen oder autobiografisch-poetischen Betrachtungen.
Immer wieder stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Worts „Glück“ in der Gegenwart. Oliver Krämer stellt in seinem Beitrag beispielsweise die Glückstheorie des Philosophen Wilhelm Schmid vor, der in Zufallsglück, Wohlfühlglück und das Glück der Fülle unterteilt. Glück der Fülle meint Akzeptanz der Vielfalt, Widersprüche und Farbigkeiten des Lebens und das Erkennen von Sinnhaftigkeit und Zusammenhängen mit allen Sinnen. An diesem Punkt setzt auch Mareike Kleinschnittger an. Sie schreibt über Musik und Musizieren im Alter als Bestandteil einer sinnerfüllten Lebensgestaltung. Im Vordergrund der modernen Alterspädagogik steht heute die Wahrnehmung der bereits vorhandenen Kompetenz und der
Potenziale des Alters, ein neuer Blickwinkel im Gegensatz zur früher vor allem defizitären Wahrnehmung dieses Lebensabschnitts. Hier dreht sich Musikpädagogik um die persönliche Bedeutung der Musik für den einzelnen Menschen und nicht um die Erfüllung objektiver Leistungskriterien.
Als einen besonderen zwischenmenschlichen und musikalischen Glücksmoment beschreibt die Pianistin Linde Großmann das beglückende Gefühl beim Vierhändigspiel am Klavier. Dieser für die pianistische Praxis und Methodik herausragende Text erörtert grundlegende Fragen dieses Genres im Hinblick auf das Aufeinandereinlassen, Reagieren sowie Deutung des Notentexts und erzählt von der wunderbaren Möglichkeit der Aufhebung von Grenzen zwischen den Spielern. Ein Glück noch für die Klavierpädagogik der Gegenwart sei die Instrumentalschule von Johanna Kinkel (1810-1858), schreibt Barbara Busch. Mit einem Blick zurück ins 19. Jahrhundert entdeckt sie uns eine Klavierschule in Briefform als ein Dokument von ungebrochener Aktualität. Auch Katharina Bradler betrachtet das Glück mit geschichtlichem Fokus und thematisiert Glücksvorstellung im Wandel der Zeiten. Sie untersucht Aristoteles’ Glückstheorie und den Stellenwert des Musizierens und Musikhörens für die Bürger der griechischen Polis, um aus dieser Perspektive auf Sinnfragen der gegenwärtigen Musikpädagogik zu schauen.
Obwohl der Zusammenhang zwischen dem Erleben von Musik und Glückserfahrung auf der Hand zu liegen scheint, ist klar, dass das Thema Glück derzeit allgemein noch nicht im Fokus der Musikpädagogik steht. Der Ideenreichtum und die Impulse für Reflexion über pädagogisches Wirken in diesem Buch sind jedoch wegweisend in dieser Richtung.
Schöne Aussichten für die Zukunft der Musikpädagogik!
Anja Kleinmichel