Caroline Wiese

Musiktheater im Legitimationsdiskurs

Strategien und Strukturen in Musiktheaterkritiken zwischen 1987 und 2007

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: transcript, Bielefeld
erschienen in: das Orchester 5/2024 , Seite 65

„Legitimationsstrategien im Musiktheater erweisen sich als widersprüchlich, gattungsübergreifend und universell“ ist die Quintessenz von Caroline Wiese über ihr Thema. Bei den von Wiese analysierten und verglichenen Texte fällt die große Breite der Auswahl aus regionalen und überregionalen Tageszeitungen auf. Wieses Suche nach etwas, was man als „genre-immanente Methode zur Aufgabenbewältigung“ bezeichnen kann, liefert ihrer umfangreichen Schrift den roten Faden. Dadurch werden widersprüchliche Impulse zur Entstehung von Musiktheaterkritiken kenntlich. Auch Rezensionen außerhalb von Fachpublikationen und Fachforen wenden sich an kundiges Publikum, aber auch weitere Kreise von Interessierten. Um eine Diskursrelevanz herzustellen, erweisen sich unter anderem theoretische Diskussionen, prägnante Verschlagwortungen und das Spielen mit gedanklichen Klischees als ernste, ironische, sarkastische und zynische Mittel.
„Ich interessiere mich für Strukturen und Denkmuster, die – ohne zwangsläufig bewusst oder mit einer bestimmten Absicht in Stellung gebracht zu werden – in Musikkritiken zu ausgewählten Musiktheaterwerken aus den Bereichen Oper, Operette und Musical von 1987 bis 2007 in Erscheinung treten. Was mich dabei besonders verblüfft hat, ist das Forschungsergebnis, dass sich diese Argumentationsmuster weitgehend unabhängig vom jeweiligen Genre zeigen“, resümierte Wiese. Damit entdeckt die Autorin im Textgenre der Kulturkritik – und hier insbesondere der Musiktheater-Kritik – spezifische Strategien der Argumentation, die zu sich selbst in logische Reibung geraten. Denn die Beschreibung einer wissenschaftlichen Stichhaltigkeit, welche die „ernstzunehmende“ Produktion eines Werks beinhaltet, gewinnt nicht nur Sinn durch analytische und objektivierende Kriterien, sondern auch die Wahrnehmung von Publikumsreaktionen.
Wiese richtet den Schwerpunkt ihrer Betrachtung auf den Zeitraum, als nach der Wiedervereinigung mit Vehemenz die öffentliche Diskussion über Sparmaßnahmen und Bestand von professionellen Orchestern und Musiktheatern geführt wurde. Die sich verändernde Orientierung an einer digitalen Leserschaft und sich wandelnden neuartigen Geschäftsbeziehungen zwischen Veranstaltern, Publikationsmodellen und Publikum fließt in Wieses Darstellung allenfalls am Rande ein. Methodisch orientiert sich Wieses Untersuchung vor allem am dichten Musiktheater-Raum Mitteleuropa, indem es zum Beispiel auch Aufgabe der Kritik ist, die systemische und künstlerische Relevanz einer dritten Puccini-Bohème in einer Stadt mit drei großen stehenden Opernhäusern zu reflektieren. In vielen anderen Ländern stellt sich dieses Problem gar nicht erst.
Roland Dippel