Daniela Bartels
Musikpraxis und ein gutes Leben
Welchen Wert haben ethische Konzeptionen eines guten Lebens für die Musikpädagogik?
Musikpraxis und ein gutes Leben: Daniela Bartels verspricht in ihrer musikpädagogischen Dissertation entweder allzu anspruchsvoll oder aber allzu unbefangen mehr, als sie halten kann. Im Grunde geht es ihr jedoch glücklicherweise weniger dogmatisch um ein „gutes Leben“ und um den Anteil, der einer musikalischen Praxis dabei zufallen kann, als vielmehr um Fragen, wie sich ein im ganz allgemeinen Sinne wünschenswertes, also vernünftigerweise kaum zu bestreitendes „gutes“ gesellschaftliches Verhalten und Musikpraxis wechselseitig aufeinander beziehen können. Sie verfolgt vor allem „ethische Ziele“ und will, wie es im Klappentext der Publikation heißt, „junge und erfahrene Musikpädagog*innen zum Nachdenken über den Sinn und den Wert ihrer Arbeit anregen“.
Bartels arbeitet ihr Vorhaben in den vier Themenbereichen der „ästhetischen Wahrnehmung“, der „Selbstgestaltung“, der „Gestaltung von Beziehungen“ und der „Wahlfreiheit“ aus und referiert erschöpfend Meinungen von Aristoteles bis hin zu den doch oft ephemeren Verlautbarungen jüngster musikpädagogischer Autoritäten (vor allem auch aus dem englischen Sprachraum) mit Seitenblicken auf einschlägige Philosophien.
Das alles ist gewiss anregend und gut gemeint, doch fragt man sich, ob darüber nicht das spezifisch Musikalische ununterscheidbar etwas zu kurz kommt, um das sich Musikpädagogik vorrangig zu kümmern hätte. Indirekt entspricht diese Arbeit der allenthalben spürbaren Krise einer Kultur, in der Musik kaum mehr womöglich als „Offenbarung“ von „Wahrheit“ voller Sinn zu einer gänzlich verinnerlichten Lebensform zählt, in der sie ihre einstmals selbstverständliche, im 19. Jahrhundert sogar religiös verbrämte Bedeutung erhielt. Sie hat sich vielmehr, in welcher Form auch immer, zu rechtfertigen – und das, so scheint es, fällt ihr gegenwärtig im nüchtern-„entzauberten“ und zugleich globalisierten gesellschaftlichen Klima immer schwerer.
Die Musikpädagogik, so wird mit den Zitaten der Autoritäten erkennbar, reagiert vor allem mit dem Nachweis, Musik könne immer noch gesellschaftlich „nützlich“ oder womöglich „relevant“ sein. Charakteristischerweise kommt Bartels erst auf den letzten drei Seiten ihrer Arbeit auf das in jeder Musik eingeschlossene Moment des Spielerischen, also des gewissermaßen „Zweckfreien“ zu sprechen, das von Kant im Sinn eines freien Spiels der „Erkenntniskräfte“ in den Bereich von „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ gerückt wurde, aber offenbar nur noch als subalternes „blindes, musikpädagogisch verkürztes Musizieren“ wahrgenommen oder als „musikantisch“ denunziert wird.
Paradoxerweise nivelliert oder schmälert solche Musikpädagogik, übertrieben ausgedrückt, auch im Sinne von „Emanzipation“ oder „Freiheit“ im „guten“ Leben auf diese Weise den Charakter und die Bedeutung desjenigen, für das sie sich werbend einsetzen will. Immerhin stößt Bartels eine Diskussion an, deren möglichst haltbare „Ergebnisse“ sich freilich nirgendwo abzeichnen.
Giselher Schubert