Huschke, Wolfram

Musikort Weimar

Begegnungen von Luther bis Liszt

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau, Köln
erschienen in: das Orchester 10/2017 , Seite 61

Als langjähriger Professor für Musikdidaktik und Rektor an der Hochschule für Musik Franz Liszt ist Wolfram Huschke ein Weimarer Urgestein, das mit der kulturellen Geschichte der Stadt vertraut ist wie kaum ein Zweiter. Nach Publikationen insbesondere zur Geschichte der Weimarer Hochschule, der Weimarer Staatskapelle und zu Franz Liszt hat Huschke nun sein ganzes Wei­ma­­rer Detailwissen zu einer musikalischen Stadtgeschichte gebündelt, die in annähernd 40 informativen Kapiteln einen kurzweiligen Bogen schlägt vom Beginn der Reformation bis zum Fortgang Liszts. Sie hegt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Dennoch handelt es sich bei diesem kenntnisreichen Porträt des „Musikorts Weimar“ um weit mehr als ein subjektives Mosaik aus locker aneinandergefügten Anekdoten und Einzel­ereignissen. Entstanden ist ei­ne spannend zu verfolgende musikalische Entwicklungsgeschichte, die historische Zusammenhänge ebenso veranschaulicht wie grundlegende ästhetische Richtungswechsel der Musikkunst. Huschke erzählt die musikalischen Geschicke Weimars entlang der großen Weimarer Persönlichkeiten: Johann Sebastian Bach, Johann Wolfgang von Goethe und Franz Liszt. Dort kommen nicht nur die wechselvollen Entwicklungen der Weimarer Hofkapelle ans Licht, sondern die historischen Hintergründe und sozialen Bedingungen musikalischer Aufführungspraxis ganz allgemein, nicht zuletzt in zahlreichen Originalquellen, die Lust auf weitere Vertiefung machen. Sie vermitteln – nicht nur, was die Opern- und Theaterpraxis der Goethe-Zeit und ihre künstlerische Aufbruchsstimmung betrifft – ein höchst lebendiges Bild ihrer Zeit und beherbergen darin so manch unerwartete Analogien zu den Intrigen, finanziellen Widrigkeiten und ästhetischen Grabenkämpfen zwischen konservativen und progressiven Kräften, wie sie auch heute noch tagtäglich den Kulturbetrieb kennzeichnen.
Weimars bis heute nachwirkende Ambivalenz von kultureller Größe und provinziellem Charakter lässt Huschke immer wieder augenzwinkernd durchblicken. Dabei vergisst der Autor nicht die zentrale Bedeutung herauszustreichen, die zwei Frauenfiguren für die Weimarer Kultur hatten: Anna Amalia und Maria Pawlowna. Ohne die mäzena­tische Kunst- und Musikleidenschaft der Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach (die auch selbst komponierte!) und der Zarentochter und späteren Großherzogin wäre die Weimarer Musikgeschichte eine bedeutungslosere gewesen. Aber auch die Musik selbst kommt nicht zu kurz: Mit Bachs Kantate Ich hatte viel Bekümmernis, dem Klavierkonzert Oberons Zauberhorn von Johann Nepomuk Hummel oder Liszts Faust-Sinfonie erörtert Huschke zentrale „Weimarer“ Werke im Hinblick auf ihre musikalische Hermeneutik. Etwas „abgebrochen“ mutet allerdings das Ende des Buchs an, das anstelle resümierender Reflexionen oder Ausblicke eine Vorschau auf den Programmzettel der Liszt-Biennale 2017 bringt, was vor allem dadurch erklärlich wird, dass der Autor als Präsident der Deutschen Liszt-Gesellschaft Mitorganisator ist. Dazwischen klafft eine Lücke von 150 Jahren. Was dort geschah, müssen andere erzählen…
Dirk Wieschollek

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