Noltze, Holger

Musikland Deutschland?

Eine Verteidigung Musik in der Gesellschaft

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2013
erschienen in: das Orchester 07-08/2013 , Seite 67

Holger Noltze gibt selbst zu, dass es eigentlich ein (zu) dünnes Buch zu einem großen Thema ist. Und in der Tat: Deutschland ist ein einzigartiges Musikland mit einer großen Musikszene, die sowohl von mehreren Hunderttausend Laien als auch von mehreren Zehntausend Profis beherrscht wird. Noltze tritt an, eine unübersichtliche Landschaft zu sortieren, deren Bestand und Zukunft er als deutlich gefährdet ansieht. Hintergrund für die Entstehung des Buchs ist auch die Publikation des Kulturinfarkts im Frühjahr 2012. Seinerzeit wurde in einer polemischen Streitschrift die gesamte deutsche Kulturlandschaft und deren öffentliche Förderung infrage gestellt.
Im ersten Kapitel beschreibt Noltze im „Vogelflug über ein reiches Land“ die Lage des Musiklebens in Deutschland, die Daten, Zahlen und Fakten von Theatern, Orchestern, Musikschulen, Konzerthäusern, Laien­ensembles usw. Rasch kommt er zu den strukturellen Problemen, der Besucherakzeptanz, der Publikumsnachfrage und -alterung, der öffentlichen Finanzierung. Wird das deutsche Stadttheater längerfristig überleben? Oder wird ein Konzert- und Opernwesen nur noch in den Metropolen stattfinden? Mit welchen Maßnahmen könnte man befürchteten Entwicklungen gegensteuern?
Die wichtigste, wenn auch nicht neue Erkenntnis ist der flächendeckende Ausfall von Musikunterricht an Grund- und weiterführenden Schulen sowie die wachsende Unterversorgung mit Musikfachlehrkräften. Auch die Verkürzung der Schulzeit an Gymnasien auf zwölf Jahre (G 8) führe zu Einschränkungen bei Schulchören, Orchestern, Bigbands, weiteren Ensembles und Musik-AGs. Die zunehmenden Musikvermittlungsbemühungen von Konzerthäusern, Musiktheatern und Orchestern seien zwar löblich, könnten die festgestellten Defizite aber nicht beheben. Noltze listet jenseits der bloßen Schönheit von Musik verschiedene Argumente zum gesellschaftlichen Nutzen auf: Musik fördert die Persönlichkeitsentwicklung, macht durch Transferwirkungen „schlau“, ist ein Bildungsgut, Bestandteil des kulturellen Erbes, ein Standortfaktor, ein Investitionsanreiz.
Im dritten Kapitel beschreibt Noltze noch einmal zusammenfassend die Gefährdungen (u.a. wachsender Kostendruck, demografischer Wandel, fehlender Publikumsnachwuchs, schwindende Akzeptanz, erodierende Bildung), um anschließend Lösungsansätze vorzuschlagen. Hierfür bedürfe es vor allen Dingen eines Change Managements, also eines strategischen Veränderungsprozesses, der sich nicht nur auf die einfache Forderung nach mehr Geld beschränken dürfe. Wichtig sei es vor allen Dingen, die Besucherforschung zu intensivieren und hier vorhandene Potenziale zu erschließen. In sieben abschließenden Thesen fordert Noltze neben der Stärkung des Musikunterrichts u.a., den gesellschaftlichen Wert von Musik stärker zu betonen. Das Buch liefert viele Überlegungen und Argumente zur klugen Verteidigung des Musiklandes Deutschland. Unbedingt lesenswert!
Gerald Mertens