Lorenz Luyken
Musikgeschichte „Romantik“
Bärenreiter Studienbücher Musik, Bd. 22.
„Verstehen von Kunst bedeutet die Fähigkeit, in einem Kunstwerk die Wechselwirkung zwischen künstlerischer Erscheinung und historischer Prägung zu erfassen, zu durchschauen und dadurch nicht zuletzt zu einem vertieften ästhetischen Erlebnis zu gelangen.“ Mit dieser Aussage bestimmt Lorenz Luyken die Absicht seines Romantik-Buchs. Er löst sie ein, indem er die vielfältigen historischen Entstehungsbedingungen romantischer Musik ausleuchtet und ihre Konkretisierungen in den spezifisch romantischen Gestaltungsweisen exemplarisch ausgewählter Musikwerke darstellt.
Eine umfangreiche Einleitung beschäftigt sich differenziert mit vier prinzipiellen Perspektiven der Bestimmung romantischer Musik: „Grenzen eines musikalischen Epochenbegriffs“, „Die Musik als Modell romantischer Kunst und Kunst- und Weltanschauung“, „Weltbezug und Weltflucht“, „Musik, Romantik und bürgerliche Gesellschaft“. Zur Sprache kommen u.a. Konzepte romantischer Musikästhetik, die Kategorie des Poetischen, Analogien romantischer Musik zu anderen Künsten, das Aufgreifen von Musik früherer Epochen, nationale Ausrichtungen, musikalische Institutionen. Bereits hier demonstriert und diskutiert Luyken das Ausgeführte an einigen Werken, begnügt sich also nicht mit einer diskursiven Metaebene. Zahlreiche analytische Erörterungen repräsentativer Musikstücke diverser Gattungen, Formen und Genres finden sich sodann in den nachfolgenden drei Hauptkapiteln: „Stil: Wie klingt romantische Musik?“, „Formen: Denken in Musik“ und „Gattungen: Orte romantischer Musik“. Immer wieder gelingen ihm dabei erhellende und brillant formulierte Beobachtungen, die Lust machen, die betreffenden Werke näher kennenzulernen bzw. neu zu hören und zu erleben.
Die Lektüre musikalischer Analysen ist zumeist anstrengend. Das gilt auch für viele Analysen des vorliegenden Buchs. Luyken analysiert oft detailliert bis in einzelne Takte. Der genaue Nachvollzug verlangt, die Notentexte vorzunehmen, zumal das Buch neben einer Anzahl von instruktiven Abbildungen nur relativ wenige Notenbeispiele enthält.
Luyken behandelt die um 1810 geborene Komponistengeneration (Berlioz, Mendelssohn, Chopin, Schumann, Liszt, Wagner) als die „eigentlich romantische“. Gleichzeitig weist er nach, dass die frühromantische Musikästhetik sich an der Musik der Klassik entzündet, und demonstriert die „romantischen“ Qualitäten der besprochenen Werke als Weiterentwicklungen des ihnen vorangehenden Zeitraums. Während also die vor der romantischen Epoche entstandene Musik als deren Bedingung mitbedacht wird, kommt das Weiterwirken romantischer Musikästhetik und Kompositionsverfahren in späteren Epochen nicht zur Sprache. Gleichwohl: ein hervorragendes Buch.
Ulrich Mahlert