Anna Langenbruch/Daniel Samaga/Clémence Schupp-Mauer (Hg.)

Musikgeschichte auf der Bühne

Performing Music History

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: transcript
erschienen in: das Orchester 03/2022 , Seite 64

Gewichtig und anspruchsvoll weit gespannt: Der Band bietet eine Quintessenz der gleichnamigen Tagung 2019 an der Universität Oldenburg. In 21 Beiträgen – von griechischen Quellenbezügen quer durch die Jahrhunderte bis zu aktuellen Assemblage-Experimenten – werden gleichsam „genregrenzenlos“ Beispiele untersucht, in denen Musikdramatik, ihre Protagonisten und Werke sich auf der Bühne selbst bespiegeln.
Selbst der belesene Opernfreund muss dabei mehrfach hinnehmen, dass die Autoren ihr Verständnis von Wissenschaftlichkeit in oft schwer lesbarer Sprache und verstiegenen Gedankengängen kundtun. Andererseits stehen von Anfang an reizvolle Einsichten: wie nämlich schon in der Antike unterschiedlich tragische und komische Darstellungen von Göttern und Heroen auftauchen, also divergierende Aspekte und Handlungen ein und derselben auftretenden Figur. Das führt in der mitteleuropäischen Operngeschichte zu einem Höhepunkt: Jetzt wird auch das Verhalten der Autoren, Sänger und dann vor allem der veranstaltenden Impresari auf der Bühne dargestellt.
Von 1711 an spannt sich ein Bogen der meist satirischen Selbstbespiegelung, der 1720 in Benedetto Marcellos Il teatro alla moda einen ersten Höhepunkt findet; Venedig und sein berühmter Karneval fordern Jahr für Jahr neben aller pathetischen Größe gesungener Tragik auch unterhaltendes Musiktheater: Das gelingt leicht in Form von Opernparodien. Dann Paris: In Le trois âges de l’opéra von 1778 betreten Lully, Rameau und Gluck als Opernfiguren die Bühne. Das abenteuerliche Leben Domenico Cimarosas bietet 1808 in der gleichnamigen Opéra comique von Jean-Nicolas Bouilly und Nicolas Isouard Stoff für einen großen Erfolg. In der teils chronologischen Abfolge des Buches ist erstaunlich, dass Lortzings singender Hans Sachs von 1840 und das ganze Vorspiel zu Ariadne auf Naxos des Duos Hofmannsthal-Strauss keine Erwähnung finden.
Zu Recht wird der Amsterdamer und Londoner Pique Dame-Produktion von Stefan Herheim, in der ein hinzuerfundener Tschaikowsky als Bühnenfigur mit seiner Homosexualität eine durchgängige Rolle spielt, ein hochdifferenzierter Beitrag gewidmet. Breit wird Barrie Koskys Bayreuther Meistersinger-Inszenierung von 2017 analysiert, die den ganzen Kreis um Wagner, Liszt und Dirigent Levi bis hin zu Cosima in historisierenden Räumen auf die Bühne stellte. Maurizio Kagels Schubert-Lied-Inszenierung Aus Deutschland und eine dramatische Clara Schumann-Konzertadaption sind als Besonderheiten vorgestellt. Erfreulich ist auch der Blick über den E-Musik-Tellerrand auf die Bühnenfigur Irmgard Knef. Der Schlussteil des leider kein Register bietenden Bandes weitet dann die Dramatisierung aus auf „Assemblage“ und „multimodale Performance“. Das Gesamtkunstwerk bezieht also immer auch sich selbst als „action“ auf der Bühne ein und beweist damit seine dramaturgische Offenheit und vorläufig ungebrochene theatralische Lebendigkeit.
Wolf-Dieter Peter