Sophie Fetthauer
Musiker und Musikerinnen im Shanghaier Exil 1938-1949
Die mehr als 800 Seiten dieses Buches bieten einen sehr umfassenden, wissenschaftlich profund gearbeiteten und sprachlich klar gefassten Blick auf das Exil deutscher Musiker in Shanghai. Mehr als 450 deutsche Musiker und Musikpädagogen aller Couleur, die aus Nazi-Deutschland fliehen mussten, fanden dort ein Exil – materiell problematisch, klimatisch ungewohnt und politisch gefährdet durch japanische Eroberungsgelüste, die 1941 letztendlich zur Einnahme der kompletten Stadt führten. Diese Arbeit Sophie Fetthauers nennt eine Menge dieser Menschen mit Namen und rekonstruiert ihr Exil auf der Basis dokumentierter Fakten. Dabei stehen die musikalischen Aktivitäten der Flüchtlinge in Shanghai selbstverständlich im Vordergrund.
Struktur und Geschichte der Stadt Shanghai, die Mitte der 1930er Jahre schon eine sehr schnell gewachsene Metropole mit einigen Millionen Einwohnern war, stehen am Beginn der umfangreichen Untersuchung. Warum damals europäische Ausländer das Leben in dieser großen chinesischen Hafenstadt dominierten, obwohl China niemals von einer Kolonialmacht unterworfen wurde, und ob die vielen „Vergnügungsstätten“ tatsächlich dem damaligen Ruf der Stadt eines modernen Sodoms standhielten – Fetthauer erläutert es und schafft so ein lebendiges, fundiertes Bild der Stadt zur Zeit des Eintreffens der Flüchtlinge.
Erst nachdem im Sommer 1939 die Einreise nach Shanghai stark reglementiert wurde, brach der Zustrom an Flüchtlingen ab. Spätestens mit der Machtübernahme der chinesischen Kommunisten 1949 verließen die Flüchtlinge Shanghai wieder.
Die vorliegende Studie weist nach, dass Musiker und Musikschaffende mit 2,5 Prozent einen ungewöhnlich hohen Anteil an den deutschen Flüchtlingen in Shanghai ausmachten. Diese Musiker waren überwiegend bereits in mittleren Jahren und keineswegs die umjubelten Solisten der großen Bühnen, als sie die Flucht nach China antraten. Die allermeisten von ihnen flohen vor den antisemitischen Greueln der Nazis, hatten teils eine Inhaftierung oder einen Aufenthalt im Konzentrationslager hinter sich.
Fetthauer hat akribisch rekonstruiert, welcher Art die musikalische Arbeit der Flüchtlinge in Shanghai war: Unterhaltende Musik jeder Art war in den vielen Nachtclubs, Hotels und Bars der großen Hafenstadt gefragt. Auch gab es eine klassische Musikszene. Doch fand nicht jeder Flüchtling ein Engagement. Die Musikpädagogen konnten teils Lehraufträge erhalten oder sich privat einen Schülerstamm aufbauen, aber auch hier herrschte Unsicherheit. Insgesamt war das Leben der Flüchtlinge von materiellen Notlagen gekennzeichnet. Wohnraum zu finden war schwierig und viele Musiker verblieben über lange Jahre in Notunterkünften und lebten von sehr geringer Unterstützung durch Hilfsorganisationen.
Einige wenige Fotos lockern diese wissenschaftliche Arbeit auf. Die Fülle an Material sollte nicht abschrecken, denn Fetthauers Buch ist lesenswert und ein wichtiges, wenn auch punktuelles Zeugnis gegen das Vergessen.