Robert Rabenalt

Musikdramaturgie im Film

Wie Filmmusik Erzählformen und Filmwirkung beeinflusst

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Edition Text + Kritik
erschienen in: das Orchester 04/2021 , Seite 59

Untersuchungen zur Filmmusik konzentrieren sich meist auf die Beziehung zwischen Film und Musik, auf deren dramaturgische Funktion. Robert Rabenalt sieht die bisherigen Ansätze zur Beschreibung und Analyse der Musikdramaturgie im Film als defizitär an. Er kritisiert, dass die Terminologie in der Fachliteratur nicht kongruent verwendet wird und dadurch Unschärfen und Widersprüche auftreten. Zudem bemängelt er, die Funktion von Filmmusik in Listen einzuteilen, die entweder zu eng oder zu weit gefasst bleiben und damit die Komplexität von Musik im Film nicht adäquat erfassen. Gleiches gilt für vereinfachende kategorielle Modelle zum Film-Musik-Bezug.
Sein Ansatz hebt darauf ab, die Analyse von Filmmusik auf den Gesamtkontext einer Filmerzählung zu beziehen, zuvörderst im Fabelbezug (Story) und im Sujetbezug (Plot). Folglich finden sich in Rabenalts Analysebeispielen keine Protokolle kleinteiliger Filmausschnitte, sondern längere Abschnitte oder Gesamtverläufe unter musikdramaturgi-schen Fragestellungen. Werden einzelne Handlungspunkte eines Films analysiert, so z. B. unter vielfältiger Bezugnahme auf Zurückliegendes, Vorausahnungen, unterschwellig Wirksames.
Rabenalt arbeitet als generell anwendbares Instrumentarium ein Modell für Filmmusik heraus, das fünf dramaturgisch unterscheidbare Bereiche der auditiven Ebenen enthält: die interne (szenische) und externe (beigeordnete) Ebene wird verbunden mit Nachahmung und Kommentar, zwischen denen ein mittelbarer Bereich steht, der ambivalente bzw. verdeckte Eigenschaften erfasst. Häufig dargestellte Verfahren der Musik-Bild-Kopplung wie Leitmotiv, Underscoring, Kontrapunkt erfahren so neue Einordnungen. Auch vorgefertigte Musik verschiedenster Stile kann zum Gegenstand werden, ebenso das in der aktuellen Filmproduktion wichtige Sound-Design. Für die Analysen wurden exemplarisch ca. 100 Spielfilme herangezogen, oft neueren Datums, auch unter Einschluss des Mainstream-Kinos.
Im ersten Teil des Buchs diskutiert Rabenalt seine auf sehr breiter Materialbasis basierenden Grundlagen mittels Verweisen auf die Literatur-, Theater-, Musik- und Filmtheorie. Sehr weit ausholend erfolgt eine ausgiebige Diskussion der Terminologie, die partiell vage bleibt. Hier hätte eine Kürzung diese Dissertation lesefreundlicher gemacht, zumal der Autor im zweiten Teil (Methoden und Analysen) die zur Anwendung kommende Begrifflichkeit häufig wiederholt. Die Gliederung, die Zusammenfassung der einzelnen Kapitel und das Glossar bieten jedoch eine gute Orientierung.
Rabenalt konstatiert, dass die Forschung zur Filmmusikdramaturgie interdisziplinär aufgestellt werden sollte. Seine Disziplin ist die Ästhetik, empirische Forschungen sind nicht eingeflossen. Anschließende Untersuchungen könnten z.B. aus wahrnehmungspsychologischer Perspektive erfolgen, die Tragfähigkeit des Modells könnte durch weitere Beispielanalysen geprüft werden. Dafür ist diesem Ansatz in der Forschung, und nicht nur dort, eine breite Kenntnisnahme zu wünschen.
Christian Kuntze-Krakau