Susanne Dick

Musikalische Aktivität und Produktivität im dritten Lebensalter

Eine empirische Studie mit professionellen Orchestermusikern. Schriften des Instituts für Begabungsforschung in der Musik, Bd. 8

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Lit, Münster 2017
erschienen in: das Orchester 09/2018 , Seite 71

Musikbezogenes Lernen, musikalische Aktivitäten in der Kindheits- und Jugendphase sowie musikalische Expertise wurden bereits in vielen musikpsychologischen Studien untersucht. Doch Erwachsenenalter und höheres Alter von Musikern wurden bislang kaum erforscht. Dabei wird der demografische Wandel, die Veränderung der Altersstruktur in Deutschland, die in den nächsten Jahrzehnten zu erwarten ist, sich auch auf den Kultursektor, den Berufsweg von Musikern und das Publikum auswirken. Susanne Dick geht mit ihrer Dissertation auf dieses Forschungsdesiderat ein, indem sie die Gestaltung des Ruhestands von professionellen Orchestermusikern in den Blick nimmt.
Mit der qualitativen Untersuchung, die im Sinne der Grounded Theory angelegt ist, wird das Feld explorativ bearbeitet. Dick stellt die fachlichen Hintergründe (z.B. alterspsychologische Konzepte, psychologische und physiologische Rahmenbedingungen im Alter) sowie die Durchführung ihrer Studie verständlich und klar gegliedert dar.
Die Datenerhebung erfolgt in Form von halbstrukturierten Leitfadeninterviews mit verrenteten Musikern deutscher Kulturorchester. Ergänzend nutzt Dick ein Tagebuchverfahren und das Erstellen einer Leistungskurve vom Eintritt in das Berufsalter bis zum Tag der Befragung. Die so erhobenen zwölf Fallstudien werden ausführlich, jeweils mit Blick auf Kurzbiografie, Interviewsituation, (musikalische) Aktivitäten, musikalische Leistung, Lampenfieber, Gesundheit und Ruhestand vorgestellt. Dabei präsentieren die einzelnen Fälle ganz unterschiedliche musikalische Lebensläufe und zeigen verschiedene Umgangsweisen mit dem Eintritt ins Rentenalter und mit der Gestaltung der nachberuflichen Phase auf. In der anschließenden Zusammenfassung wird die Spannweite der Interviewaussagen zu den einzelnen Themenbereichen deutlich. Eine Bündelung der Ergebnisse folgt schließlich in elf zentralen Schlussfolgerungen bzw. Hypothesen. Insgesamt ist die Entwicklung der Ergebnisse transparent dargestellt und kann vom Leser gut nachvollzogen werden.
In Anbetracht der Fallstudien zeigt sich beispielsweise, dass die meisten der befragten Musiker im Ruhestand viele, oft weiterhin musikbezogene Aufgaben übernehmen und auch großes Interesse an diesen Aufgaben zeigen. Diese Erkenntnis führt die Autorin unter anderem zu der Schlussfolgerung, dass ältere Musiker durchaus weiterhin in musikspezifische Aufgabenfelder einbezogen werden sollten (z.B. Musikvermittlungsangebote, Mentoringprojekte), ohne allerdings als Konkurrenz für jüngere Arbeitnehmer aufzutreten. So zeigt die Studie, was ein durch Aktivität und Produktivität geprägter Ruhestand von professionellen Orchestermusikern sowohl für die Betroffenen persönlich als auch für den gesellschaftlichen Kontext bedeuten kann.
Silvia Müller