Engelke, Ulrike

Musik und Sprache

Interpretation der Frühen Musik nach überlieferten Regeln

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Agenda, Münster 2012
erschienen in: das Orchester 03/2013 , Seite 64

Dass Musik und Sprache eng zusammenhängen, wissen die meisten Musiker nicht erst seit Nikolaus Harnoncourts berühmten Veröffentlichungen zum Thema – jedoch oft nur theoretisch. Und selbst wenn das Bewusstsein für die Praxis vorhanden ist, wird das Wissen oft nur für Musik bis maximal der Barockzeit angewandt, obgleich es in klassischen und selbst vielen romantischen Werken oft ebenso am Platz wäre – und so manches Konzert vor der Langeweile bewahren würde.
Ulrike Engelke, Block- und Traversflötistin sowie Musikpädagogin, legt mit diesem Band ein Kompendium vor, in dem man sich rasch und praxisorientiert über die wichtigsten Aspekte musikalischer Rhetorik informieren kann – wenn die Autorin die Anwendung auch etwas zu vorsichtig auf die “Frühe Musik” (ohnehin ein etwas schwammiger Begriff) einschränkt. So behandelt sie hier in neun Kapiteln und unzähligen Unterpunkten die Themen Mensuralnotation, Proportionen, Temporelationen, Diminutionen, Artikulation, Vibrato und Deklamation in ihrer Anwendung vor allem für Instrumentalisten (doch auch Dirigenten, Ensembleleiter und Sänger dürften profitieren), indem sie zu jedem Stichwort Zitate und Beispiele aus den wichtigsten historischen Quellen anführt und diese, wo notwendig, noch in eigenen Worten und gelegentlich auch Tonbeispielen genauer erläutert – in allerdings recht sperriger, gelegentlich etwas unpräziser Sprache und eigenwilliger Interpunktion. Dazu führt sie zahlreiche Kommentare und Erläuterungen neuzeitlicher Wissenschaftler und Interpreten an, welche die Aussagen der Quellentexte auslegen und erklären.
Die Gliederung des Buchs scheint dabei teils etwas willkürlich, und leider existiert auch kein Register, sodass man nachzuschlagende Begriffe erst mühsam im Inhaltsverzeichnis suchen muss. Aber nichtsdestotrotz bietet diese Zusammenstellung von jeweils wichtigen Zitaten zu den Stichpunkten eine sehr wertvolle Hilfe bei der Interpretation und dem Verständnis alter und auch neuerer Musik, nicht nur für Studenten und Profimusiker, sondern auch für so manchen Amateurdirigenten, -sänger oder -instrumentalisten.
Gleichzeitig ein Vorteil und ein Nachteil des Buchs liegt darin, dass es durchgängig zweisprachig Deutsch-Englisch gehalten ist. Das vergrößert natürlich den Benutzerkreis, macht die Sache aber – da jede Seite in je zwei Spalten aufgeteilt ist – gleichzeitig unübersichtlich und das ob der starken Bindung ohnehin zum Zuklappen neigende Buch noch unhandlicher; doch damit kann man ob des gut zusammengestellten Sammelsuriums an Interpretationshilfen dann zur Not leben.
Somit gibt die Autorin ihren Lesern hier ein schönes Kompendium an die Hand, das man zweifelsohne nicht als Bettlektüre durchschmökern, in dem man aber für die Beschäftigung mit entsprechendem Repertoire sicherlich über Jahre und Jahrzehnte immer wieder einmal etwas nachschlagen wird; und sollte einmal eine Frage ungeklärt bleiben, so hilft vielleicht doch noch das Quellen- und Literaturverzeichnis des Buchs weiter…

Andrea Braun