Picht, Johannes (Hg.)

Musik und Psychoanalyse hören voneinander

Bd. 2

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Psychosozial-Verlag, Gießen 2015
erschienen in: das Orchester 01/2016 , Seite 71

Der interessierte Musiker wird als Leser gefordert, denn Benjamin Bardé feuert in seinem Essay „Performativität und psychoanalytischer Prozess“ eine Menge blitzender Termini in die Runde, die man, um den Text voll auffassen zu können, nachschlagen sollte. Der geneigte Musiker muss allerdings manche Zeile mehrfach lesen, um mehr als ein beeindruckend flackerndes Wortgewitter mitzunehmen.
Die Gespräche des Herausgebers Picht, selbst Mediziner, Philosoph und Musiker, mit den Komponisten Wolfgang Rihm, Dieter Schnebel, Cornelius Schwehr und Hans Zender machen Spaß durch ihre Dichte und den entspannten Plauderton. Sie geben ebenfalls Raum für Erklärungen der Struktur und Aufführungsgeschichte der Kompositionen, die in den Gesprächspausen jeweils aufgeführt wurden. Die ausübenden Musiker und immer wieder auch beim Gespräch anwesende Zuhörer äußern sich ebenfalls zur Musik, zum gerade Gehörten, stellen Fragen oder finden Bezüge zur Psychoanalyse.
Dieses Buch ist keine Handreichung für Musiker, die ihr Instrumentalspiel oder ihren Unterricht mit neuen Impulsen versehen wollen, sondern der ernsthafte Versuch, Psychoanalytiker und Musiker zusammenzubringen, Fragen zu stellen und Antworten, soweit möglich, zu finden. Dabei bietet dieses Buch kein knappes, leserfreundliches Resümee, auch keine flott übertragbaren Konzepte. Der jetzt vorgelegte zweite Band Pichts ergibt also keine klar formulierte These zur Beziehung von Musik und Psychoanalyse. Picht selbst spricht es schon zu Beginn des Vorworts an: „In diesem Sinne kann ich es dem Leser nicht ersparen, sich seinen eigenen Reim darauf zu machen, wie die Beiträge zu dem Projekt ,Musik und Psychoanalyse hören voneinander‘ zu ,einem Gespräch‘ werden.“
Aus dem Arbeitsalltag der Musiktherapeutin Maria Becker erfährt man Details und Wechselwirkungen. Wechselwirkungen deshalb, da auch der Patient eine Wirkung auf die Therapeutin ausübt. Da blitzt das Handwerk durch, da ist jeder Berufsmusiker als Leser sicher sofort bei der Sache. Herausgeber Johannes Picht schreibt von „Dyonisus und Pentheus“ anstelle einer Einleitung. Nüchternheit gegen Wahn – doch wer ist am Ende wahnsinnig? „Musik ist Gewalt, von der wir ergriffen werden“, meint Picht gegen Ende dieser Einleitung. Auch die Maulwerke Dieter Schnebels, eine Komposition, die ausführlich im Gespräch behandelt wird, bekommen eine Einführung Pichts: „Was geschieht, ergibt sich immer weniger aus der Intention des Komponisten und immer mehr aus der Offenheit des Moments und der Gesamtheit der Situation. Das sind Entwicklungen, die sehr genau dem entsprechen, was sich im Übergang von der klassischen zur modernen Psychoanalyse vollzieht.“
Am Ende vermutet Picht: „Folglich wären wir auch hinsichtlich unserer Arbeit als Psychoanalytiker auf den ,Gesang‘ (und auf die Stille) hingewiesen, also auf eine nichtsymbolische, oder besser: jenseits des Symbolischen liegende Kommunikation.“
Heike Eickhoff

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