Landau, Annette/Peter Stulz (Hg.)
Musik und Medizin
Zwei Künste im Dialog
Musik und Medizin verbindet nicht nur die gemeinsame Wurzel in der antiken Mythologie. Apollo als Gott der Künste war gleichermaßen für die Ton- und für die Heilkunst verantwortlich. Der sorgfältig edierte Sammelband beleuchtet in 13 Essays die Facetten einer nicht immer einfachen Beziehung. Die Konzeption des Buchs ist überzeugend. Nach einem programmatisch-provokativen Einleitungsaufsatz zur Frage, ob Wissenschaft Musikerinnen und Musikern überhaupt nützen kann, gruppiert sich der Band um vier interdisziplinäre Themenbereiche.
Der erste Themenbereich behandelt die musiker-medizinischen Fragen. Ähnlich wie Sportler sind Musiker besonderen Belastungen ausgesetzt. Zusammenspiel und Feinabstimmung der Bewegungsabläufe unter dem hohen Perfektionsdruck der modernen Orchesterpraxis sind besondere Belastungsfaktoren. Die Physiotherapeutin Johanna Gutzwiller geht der Frage nach, wie Überlastungsbeschwerden angegangen werden können und welche Vorbeugemaßnahmen sinnvoll sind. Jochen Blum untersucht die Häufigkeit berufsbedingter Erkrankungen und Beat Hohmann mit Sarah Dupasquier machen auf die hohen Schalldruckpegel im Orchester mit erheblicher Belastung des Gehörs aufmerksam.
Der zweite Themenbereich konzentriert sich auf die neurobiologische Forschung. Wilfried Gruhn sichtet kritisch Untersuchungen, in denen eine Intelligenz fördernde Wirkung von Musikhören gefunden wurde. Fazit ist, dass Musikhören allenfalls geringe und nur wenige Minuten lang andauernde Effekte auf räumliche Vorstellung hat. Stefan Kölsch befasst sich mit der Frage, inwiefern im Großhirn des Menschen Sprache und Musik in ähnlicher Art und Weise verarbeitet werden. Mario Wiesendanger gibt anschließend faszinierende Einblicke in die hoch präzisen Vorgänge der beidhändigen Koordination beim Geigenspiel.
Der dritte Themenbereich widmet sich der Musiktherapie. Hier werden auf fundierte Weise Wirkmechanismen und Indikation der musiktherapeutischen Interventionen zusammengefasst.
Im letzten Teil des Buchs werden philosophisch existenzielle Fragen behandelt. Hans Saner thematisiert die Unterschiede der beiden Künste Musik und Medizin und warnt in sympathischer Weise davor, Musik zu einem Gebrauchsgegenstand zu reduzieren. Urs Frauchiger setzt sich mit Musik als Sprache der Seele auseinander, Alois Koch zeichnet die Entwicklung von Requiemkompositionen und deren allmähliche Ablösung nach und Frank Nager widmet sich dem Sterben der drei großen Musiker Mozart, Beethoven und Mahler.
Der Band wendet sich an Musiker und Pädagogen, an Ärzte und Therapeuten, an Neurologen und Musikwissenschaftler. Alle Artikel sind von hoher Qualität und allgemein verständlich geschrieben. Es ist dem Herausgeber-Team vorbildlich gelungen, in einem weit umspannenden Bogen die Vielgestaltigkeit der Beziehung von Musik und Medizin darzustellen. Das Buch gehört in jeden Bücherschrank breit interessierter Musiker und Mediziner.
Eckart Altenmüller