Said, Edward W.
Musik ohne Grenzen
Luciano Pavarotti als groteske Figur, die Operaufführungen auf ein Minimum an Intelligenz und ein Maximum an überbewertetem Lärm reduziert, das Spiel des Pianisten André Watts ohne Plan und Aussage, Zugaben wie Essensflecke auf einem hübschen Anzug: Der Intellektuelle Edward W. Said hat nie ein Blatt vor den Mund genommen. Ein Musikkritiker im klassischen Sinn war Said nicht, aber gerade das machte ihn zu einem der originellsten Beobachter der musikalischen Szene. 36 Texte sind in dem vorliegenden Band versammelt, Texte, die Said über 30 Jahre hinweg für renommierte Zeitungen schrieb und in denen er das musikalische Geschehen seiner Zeit mit scharfem Blick und oft spitzer Feder eingefangen hat.
Herausgekommen ist ein Streifzug durch die Musikgeschichte der 1980er und 1990er Jahre, bei dem Saids Präferenzen bald klar werden: Von der historischen Aufführungspraxis hält er wenig, ebenso wenig von konzertanten Darbietungen: Steckt man Sänger in elegante Abendkleidung und lässt sie ohne theatralisches Geschehen, stilistische Prinzipien und dramatische Gesten einfach in das Publikum hineinschmettern, so entstellt man eine Oper nicht nur, sondern verstümmelt sie auch. In seinem Urteil ist er oft hart (Man erwartete ein Stachelschwein und bekam stattdessen einen räudigen Fuchs, schreibt er über den Zyklus der neun Beethoven-Symphonien, dargeboten von niemand Geringerem als den Wiener Philharmonikern unter Claudio Abbado), andererseits aber ist er stets bereit, Größe anzuerkennen, wenn er etwa über den Dirigenten Robert Shaw meint: Bei ihm hat man den Eindruck, dass sich die Musik selbst zum Ausdruck bringt. Das ist die schönste ästhetische Illusion überhaupt.
Dazwischen finden sich Texte, in denen Said das musikalische Geschehen in einen soziokulturellen Zusammenhang stellt. So macht er sich Gedanken über Musiker im mittleren Alter oder verknüpft die Musikkritik mit Überlegungen zum Feminismus, wobei er es vorhersehbar und merkwürdig zugleich findet, dass der Feminismus, der sich so intensiv mit allen Disziplinen der Geistes- und Naturwissenschaften auseinandersetzt, keine Ansätze zur Musikkritik geliefert hat. Ob es um die Konzertkultur geht, um die Entwicklung der Musikpädagogik oder die Einfallslosigkeit der Spielpläne: Said nutzt seinen literaturwissenschaftlichen und politischen Hintergrund, um die musikalische Szene in einen größeren Rahmen zu stellen und sie als Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen zu deuten.
Immer wieder kehrt er dabei zu Glenn Gould zurück. Ich glaube, es war Glenn Goulds Tod im Jahr 1982, der Edward veranlasste, ernsthaft über Musik zu schreiben, meint Saids Witwe Mariam im Vorwort. Gould ist für Said die Personifikation des Genies, seine Weigerung, sich beliebt zu machen, fasziniert den Kritiker, die ungewöhnliche, oft distanzierte Interpretation begeistert ihn. Goulds Musik ist für Said Technik im Dienst eines forschenden Verstands, Komplexität, aufgelöst, ohne sie zu zähmen, Intelligenz, befreit von philosophischem Ballast. Ähnliches könnte man auch über Saids Texte sagen.
Irene Binal