Ulrich Tadday (Hg.)
Musik-Konzepte 188/189. Rebecca Saunders
„Es gibt einfach Klänge, die mich begeistern … Aber eigentlich gibt es gar nichts zu sagen.“ Die Sätze von Rebecca Saunders finden sich in dem ihr gewidmeten Doppelband der “Musik-Konzepte”, der neun Beiträge versammelt, die dieser Spannung von Affektivität und Aussagelosigkeit gegenüberstehen. Und dabei die eigene Kernkompetenz musikwissenschaftlichen Aussagens mit diesem sprachlosen Phänomen der Begeisterung zu verbinden suchen.
Begeisterung ist naturgemäß keine musikanalytische Kategorie, und so sind fast alle Texte auf den Terminus angewiesen, den die Komponistin selbst in ihren zahlreichen Einlassungen (hier gegenüber Lydia Jeschke) immer benutzt: Klang.
Sowohl in den Texten zu “Scar, Alba, Fletch” oder dem Joyce-Werkkomplex, die gründliche Zustandsbeschreibungen von Martin Kaltenecker, Tobias Schick, Jörn Peter Hiekel, Yuval Shaked sowie Mark Barden sind, als auch in den weiträumigeren Ansätzen von Klaus Angermann und Lukas Haselböck zum Thema des Raum-Zeit-Parameters ist das der Zentralbegriff. Das Wort Klang mit all seinen adjektivischen und adverbialen Kombinationen taucht massenhaft auf und wirkt wie ein texturales Mantra. Ein Terminus, der kaum weiter differenziert werden kann, zumal seine agglomerative Qualität bei Saunders durch das Berücksichtigen des jeweiligen Raums und der klangbildenden Akteure weiter gesteigert ist.
Vieles in den Beschreibungen der klingenden Positivität wirkt wie klassische Konzertführer-Literatur, wo Gestaltung ja oft als Ausdrucksdrama vermittelt werden. Hier als Drama des Klangs selbst, seiner Mutationen, seiner Temperierungen, seines Lebens. Viele rhetorische Attribute markieren Vorsicht und Unsicherheit („vielleicht“, „wohl eher“). Umgekehrt herrscht auch der Ton der Begeisterung und Pastoralität („höchst ungewöhnlich“, „vom Zuschauer leiblich erspürt“, „eingeschrieben ist die Einladung zum Nachvollziehen eines Prozesses“). Feuilletonistisch: „geheimnisvolle Faszinationskraft“, „beinahe magische Klanglandschaft“. Kontextualisierungen und Distinktionen sind gleichermaßen unscharf: Hinweise auf fehlende Monumentalität oder Bildhaftigkeit treffen wahrhaftig keinen saunders-spezifischen Sachverhalt. Eingestreute Philosopheme jüngerer Provenienz haben ornamentale Funk- tion.
Treffend ist der Hinweis Angermanns auf Edgard Varèses Sonorismus, den man sich bei Saunders in einer zeitgenössisch-biedermeierlichen Espressivo-Manier umformatiert gut vorstellen kann. Jedenfalls legt Peter Nonnenmacher mit seiner Kritik an dem diffusen oder gefühligen Habitus dieser Musik solche Deutungsmöglichkeiten nahe. Martin Kaltenecker hat das Problem einer Wissenschaft erkannt, die vor dem Phänomen Saunders eigentlich zum Schweigen oder zum Raunen verdammt ist. Mit seinem Text zeichnet sich die Möglichkeit einer wissensbasierten Passung ab.
Bernhard Uske