Ulrich Tadday

Musik-Konzepte 187. Stefan Heucke

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Edition Text + Kritik
erschienen in: das Orchester 12/2020 , Seite 63

Als Komponist in die Reihe der Musik-Konzepte aufgenommen zu werden, bedeutet für diesen, dass er in die Riege bedeutender Komponisten der Gegenwart und relevanter Musikfragen rückt. Dass dies Stefan Heucke zuteil wird, ist einerseits dem Anlass seines 60. Geburtstags geschuldet, betrifft andererseits aber einen Komponisten, der zur Stellungnahme herausfordert, wie er selbst ein politisch bekennender Mensch ist, ohne dass seine Musik deswegen als Bekenntnismusik abzutun wäre. Vielmehr wird hier die Musik eines Komponisten gewürdigt, dem es gelingt, zwischen Traditionsverbundenheit und moderner Klangsprache seinen kompositionsästhetischen Ort in der Verbindung disparater kompositorischer Mittel zu finden, die ihm sowohl respektablen Publikumserfolg mit vielen Kompositionsaufträgen als auch deutliche Kritik avancierter Fortschrittstheoretiker eingebracht hat.
Der Band enthält sechs analytische Beiträge zu verschiedenen Werken mit einem Geleitwort von Norbert Lammert, zu dessen Abschied aus dem Deutschen Bundestag Heucke die Variationen mit Haydn op. 85 über „Das Lied der Deutschen“ geschrieben und darin dessen gebrochene Geschichte kompositorisch reflektiert hat.
Als Einstieg in die komplexe kompositorische Situation empfiehlt sich der Beitrag von Michael Custodis am Ende des Bandes, der eine allgemeine kompositionsästhetische und kulturpolitische Einordnung des Komponisten vornimmt, dessen politisches Engagement und Erinnerungskultur in Bezug auf die NS-Vergangenheit und den Widerstand in zahlreichen Werken explizit wird (Tobias Knickmann: „Zwischen Autorität und Authentizität; Dominik Höink: Komponierte Erinnerungskultur in traditioneller Form?“). Hier wird deutlich, wie Heucke Traditionslinien und -brüchen die musikalische Faktur überträgt, die zwischen traditioneller Tonalität und Reihenstrukturen eine „synthetische Tonalität“ erzeugt.
Der Verwendung traditioneller Formen und Gattungen und ihrer Fortführung in die Moderne spüren Andrea Breimann anhand der zahlreichen Sonaten und Matthias Lotzmann hinsichtlich der Variation (Ciacona, Passacaglia) als strukturbildendem Prinzip in vielen seiner Werke nach, während Jürgen Heidrich die Gattungsgeschichte der Messvertonungen anhand der Deutschen Messe op. 80 untersucht. Die jeweiligen analytischen Ansätze und satztechnischen Hinweise tragen Wesentliches zum Verständnis dieser Musik bei und erhellen die historischen Hintergründe.
Den kompositionsästhetischen Ort von Heuckes Musik im Spannungsfeld von Traditionsgebundenheit und klanglicher Moderne, gesellschaftlicher Stellungnahme und autonomer Ästhetik hat Custodis treffend als ein „Dazwischen“ gekennzeichnet. Die hohe Authentizität, das handwerkliche Können und die Expressivität seiner Musik fordern zur Auseinandersetzung mit seiner Musik in unserer Zeit heraus und rechtfertigen damit seine Aufnahme in die Musik-Konzepte.
Wilfried Gruhn