Redepenning, Dorothea (Hg.)

Musik im Spannungsfeld zwischen nationalem Denken und Weltbürgertum

Franz Liszt zum 200. Geburtstag

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2015
erschienen in: das Orchester 03/2016 , Seite 67

Auch fünf Jahre nach dem großen Liszt-Jubiläum 2011 ist jedes effektive wissenschaftliche Nachdenken wie jede künstlerische Auseinandersetzung mit der Ausnahmeerscheinung Franz Liszt willkommen. Der im kleinen Heidelberger Universitätsverlag Winter publizierte Aufsatzband präsentiert 15 Vorträge einer internationalen und interdisziplinären Konferenz, auf der zum Liszt-Geburtstag auf dessen eigene Beschäftigung sowohl mit seinen ungarischen Wurzeln als auch mit seinen globalen Ambitionen hingewiesen wurde. In besonderem Maß hat gerade Liszt dieses Aufgespanntsein des Künstlers im späteren 19. Jahrhundert in einem Netz aus engstem Nationalismus und globalem Weltbürgertum in Texten und Werken immer wieder thematisiert.
Dorothea Redepenning, die Leiterin des Heidelberger musikwissenschaftlichen Instituts, die zu Liszt promoviert hat und sich immer wieder mit wichtigen Stellungnahmen zur Musikgeschichte des 19. Jahrhundert positioniert, hatte dieses Thema vorgegeben und Liszt-Forscher aus acht Nationen geladen. Der Tagungsband beinhaltet englisch- und deutschsprachige Beiträge, die alle mit einer kurzen englischen Zusammenfassung eingeleitet sind.
Für einen einführenden Überblick über das Thema konnte der Doyen der deutschen Liszt-Forschung, Detlef Altenburg, gewonnen werden. Altenburg zeigt auch anhand von Liszts Ideen zu einer Art Kunst-Olympiade der von ihm für Weimar projektierten Goethe-Stiftung, wie transnational und intermedial sein Ideenhorizont beschaffen war. Klaus Ries vertieft das Verhältnis von Universalismus und Nationalismus im Konzept der Goethe-Stiftung. Weimar bleibt auch für den folgenden Vortrag von Nicolas Dufetel zentral, wenn er aufbauend auf Tagebucheintragungen des Weimarer Großherzogs Liszts politische und private Kontakte zum Hof thematisiert. Zu diesem ersten Teil des Konferenzbandes zum Thema „Kultur und Politik“ gehören noch ein Text von Rossana Dalmonte aus Bologna, die den Begriff des Universalismus bei Liszt beleuchtet, und von Jonathan Bellman zu Liszts Rezeption der ungarischen „Zigeunermusik“.
Der zweite Teil des spannenden und durchweg gut zu lesenden Bandes „Komposition und Ästhetik“ befasst sich mit einzelnen Kompositionen: den Années de pèlerinage, den Ungarischen Rhapsodien und der Ungarischen Krönungsmesse; Herausgeberin Dorothea Redepenning steuert selbst eine konzise und prägnante Untersuchung zu Liszts Spätwerk bei.
Der Liszt-Rezeption ist der dritte Teil des Bandes gewidmet: seine Aufnahme in Rumänien sowie Liszts Nachwirken im Werk Smetanas, bei dem Dänen Henrik Rung oder bei Anton Rubinstein. Sehr kenntnisreich in die Welt der pianistischen Anschlagtechnik entführen Susanne Fontaine und Thomas Menrath in ihrem Beitrag zu Busoni. Der Text des Tübinger Ordinarius Thomas Schipperges zum dankbaren Thema der Liszt-Schüler schließt diesen bereichernden Konferenzbericht.
Katharina Hofmann